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Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)

Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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die ganze Woche über, sobald ich meine Hausaufgaben gemacht hatte, zu einer Tasse heißer Schokolade aßen. Damals mochte ich sie nicht besonders gerne und ließ sie in meiner Tasse aufweichen, sodass sie auf den Grund sanken. Mama hat nichts von meinem Spielchen bemerkt. Später, wenn wir während des Kriegs in den Bombenschutzkellern warteten, dass die Sirenen verstummten, überkam mich die Erinnerung an jene Shortbreads . Und während die ringsum einschlagenden Bomben den Keller erschütterten, habe ich immer von dieser Leckerei geträumt.«
    »Ich glaube, ich hatte nie das Glück, einen so vertraulichen Moment mit meiner Mutter zu erleben«, sagte Daldry. »Ich will zwar nicht behaupten, dass meine Shortbreads es mit denen Ihrer Erinnerung aufnehmen können, aber ich hoffe, sie schmecken Ihnen trotzdem.«
    »Darf ich noch eines nehmen?«, fragte Alice.
    »Apropos Träume, Sie hatten in dieser Nacht unglaubliche Albträume«, murmelte Daldry.
    »Ich weiß, ich erinnere mich daran. Ich lief barfuß durch eine Gasse, die aus einer anderen Zeit zu stammen schien.«
    »Die Zeit zählt in den Träumen nicht.«
    »Sie verstehen mich nicht richtig. Ich hatte den Eindruck, diesen Ort zu kennen.«
    »Wahrscheinlich irgendeine Reminiszenz. In Albträumen geht alles durcheinander.«
    »Es war eine erschreckende Vermischung, Mister Daldry. Ich hatte noch mehr Angst als unter den V1-Bomben der Deutschen.«
    »Kamen die vielleicht auch in Ihrem Traum vor?«
    »Nein, ich war anderswo. Man hat mich gejagt, man wollte mir Böses. Und als er gekommen ist, war meine Angst verflogen. Ich hatte das Gefühl, mir könne nichts mehr zustoßen.«
    »Als wer gekommen ist?«
    »Dieser Mann auf der Straße, der mich angelächelt hat. Er hat mir mit seiner Mütze zugewinkt, dann ist er gegangen.«
    »Sie sprechen so beeindruckend von ihm, als wäre all das wahr.«
    Alice seufzte. »Sie sollten sich ausruhen, Mister Daldry. Sie sind ganz blass.«
    »Sie sind die Kranke, aber ich muss zugeben, Ihr Sessel ist nicht besonders bequem.«
    Es klopfte an der Tür. Daldry öffnete, und vor ihm stand Carol mit einem großen Weidenkorb in der Hand.
    »Was machen Sie denn hier? Sagen Sie jetzt bloß nicht, Alice würde Sie stören, auch wenn sie allein ist?«, fragte Carol und trat ein. Dann sah sie Alice im Bett und wunderte sich.
    »Ihre Freundin hat sich eine anständige Grippe eingehandelt«, erklärte Daldry und strich leicht verlegen sein zerknittertes Jackett glatt.
    »Dann komme ich ja gerade recht. Sie können uns allein lassen. Ich bin Krankenschwester, Alice ist in besten Händen.«
    Sie brachte Daldry zur Tür und drängte ihn zu gehen.
    »Kommen Sie, Alice braucht Ruhe, ich kümmere mich um sie.«
    »Ethan?«, rief Alice von ihrem Bett aus.
    Daldry reckte sich auf die Zehenspitzen, um über Carols Schulter hinwegsehen zu können.
    »Danke für alles«, flüsterte Alice.
    Daldry schenkte ihr ein gezwungenes Lächeln und zog sich zurück.
    Sobald sich die Tür geschlossen hatte, trat Carol ans Bett, legte die Hand auf Alices Stirn, tastete ihren Hals ab und befahl ihr, die Zunge herauszustrecken.
    »Du hast noch Fieber. Ich habe dir lauter gute Sachen vom Land mitgebracht. Frische Eier, Milch, Marmelade, Hefekuchen, den meine Mutter gestern gebacken hat. Wie fühlst du dich?«
    »Seit du hier bist, so als wäre ich mitten in einen Wirbelsturm geraten.«
    »Danke für alles, Ethan«, wiederholte Carol spöttelnd und füllte den Wasserkessel. »Eure Beziehung hat sich seit dem letzten Essen bei dir ja ganz schön verändert. Hast du mir etwas zu erzählen?«
    »Dass du blöd bist und deine Anspielungen fehl am Platz sind.«
    »Ich habe keine Anspielungen gemacht, nur etwas festgestellt.«
    »Wir sind Nachbarn, das ist alles.«
    »Das wart ihr letzte Woche auch, aber da nannte er dich ›Miss Pendelbury‹ und du ihn ›Mister Griesgram und Spielverderber‹. Es muss ja irgendwas passiert sein, was euch einander nähergebracht hat.«
    Alice schwieg.
    Den Wasserkessel in der Hand, musterte Carol sie. »So sehr?«
    »Wir sind noch einmal nach Brighton gefahren«, gestand Alice und seufzte.
    »Er war also deine mysteriöse Weihnachtseinladung? Du hast recht, ich bin wirklich blöd! Und ich dachte, du hättest das nur erfunden, um dir vor den Jungs keine Blöße zu geben. Den ganzen Heiligabend habe ich mir Vorwürfe gemacht, weil ich dich allein in London gelassen und nicht darauf bestanden hatte, dass du mit zu meinen Eltern kommst. Und

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