Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)

Pendelbury.«
    »Frohe Weihnachten, Mister Daldry.«

Kapitel 3
    Das Glasdach war von einer feinen, seidigen Schicht überzogen; es hatte geschneit. Alice richtete sich in ihrem Bett auf und versuchte, draußen etwas zu erkennen. Dann öffnete sie das Fenster einen Spaltbreit, schloss es jedoch wegen der eisigen Kälte sogleich wieder.
    Verschlafen tastete sie sich zum Gaskocher und setzte Wasser auf. Daldry war so großzügig gewesen, ihr die Streichholzschachtel zu lassen. Als sie an den Vorabend dachte, musste sie lächeln.
    Alice hatte keine Lust zu arbeiten. Nachdem sie an Weihnachten keine Familie zu besuchen hatte, würde sie im Park spazieren gehen.
    Sie zog sich warm an und verließ auf Zehenspitzen ihre Wohnung. Im Treppenhaus herrschte Ruhe, Daldry schlief vermutlich noch.
    Die Straße war makellos weiß – ein hübscher Anblick. Der Schnee verhüllte den Schmutz der Stadt, sodass selbst die tristesten Viertel im Winter zu einer gewissen Schönheit fanden.
    Als sich eine Straßenbahn näherte, lief Alice zur Kreuzung, stieg ein, kaufte eine Fahrkarte und nahm auf der hinteren Sitzbank Platz.
    Eine halbe Stunde später betrat sie durch die Queen’s Gate den Hyde Park und lief die Mittelallee in Richtung Kensington Palace hinauf. Bei einem kleinen See blieb sie stehen. Enten glitten über das dunkle Wasser und kamen direkt auf sie zu in der Hoffnung, etwas Futter von ihr zu bekommen. Alice bedauerte, ihnen nichts geben zu können. Auf der anderen Seite des Sees saß ein Mann auf einer Bank und winkte ihr zu. Er erhob sich und bedeutete ihr mit weit ausholenden Armbewegungen, zu ihm zu kommen. Die Enten wandten sich von Alice ab und steuerten auf den Unbekannten zu. Alice ging am Ufer entlang in Richtung des Mannes, der sich hingehockt hatte und das Federvieh fütterte.
    »Mister Daldry? Welche Überraschung, Sie hier anzutreffen! Folgen Sie mir?«
    »Was ich eher überraschend finde, ist, dass Sie auf die Aufforderung eines Unbekannten reagieren. Ich war schon vor Ihnen hier, wie hätte ich Ihnen da folgen sollen?«
    »Was machen Sie hier?«, fragte Alice.
    »Die Enten-Weihnacht. Haben Sie das schon vergessen? Als ich hinausgegangen bin, um Luft zu schnappen, habe ich die Brotstücke in meiner Manteltasche gefunden, die wir gestern im Pub haben mitgehen lassen. Also habe ich mir gesagt, wenn ich ohnehin einen Spaziergang machen will, kann ich auch die Enten füttern. Und was führt Sie hierher?«
    »Ich mag diesen Ort.«
    Daldry brach zwei Brotstückchen ab und reichte Alice eines.
    »Unser kleiner Ausflug war also nicht von großem Nutzen«, meinte er dann.
    Alice antwortete nicht, sondern konzentrierte sich ganz auf das Füttern der Enten.
    »Ich habe Sie einen guten Teil der Nacht in Ihrem Zimmer auf und ab gehen hören. Konnten Sie nicht schlafen? Dabei waren Sie doch so müde.«
    »Ich bin eingeschlafen und kurz danach wieder aufgewacht. Ein Albtraum, das heißt, eigentlich waren es mehrere.«
    Daldry hatte, ebenso wie Alice, sein ganzes Brot verfüttert. Er richtete sich auf und reichte ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen.
    »Warum wollen Sie mir nicht sagen, was Ihnen die Hellseherin gestern prophezeit hat?«
    Die verschneiten Wege des Hyde Park waren fast menschenleer. Alice gab Daldry ihr Gespräch mit der Wahrsagerin in allen Einzelheiten wieder, sogar dass sich diese als Scharlatan bezeichnet hatte.
    »Was für ein eigenartiger Sinneswandel. Aber warum glauben Sie ihr, nachdem sie sich selbst als Schwindlerin ausgibt?«
    »Weil ich ihr in ebendiesem Moment am meisten vertraut habe. Eigentlich bin ich ein sehr rationaler Mensch, und ich versichere Ihnen, wenn meine beste Freundin mir auch nur einen Bruchteil von dem erzählen würde, was ich da gehört habe, würde ich mich haltlos über sie lustig machen.«
    »Lassen Sie Ihre beste Freundin aus dem Spiel, konzentrieren wir uns lieber auf diese Geschichte. Was irritiert Sie so sehr daran?«
    »Versetzen Sie sich doch einmal in meine Lage. Alles, was diese Hellseherin mir gesagt hat, ist äußerst verwirrend.«
    »Und sie hat von Istanbul gesprochen? Was für eine komische Idee! Vielleicht sollten Sie hinreisen und sich selbst überzeugen.«
    »In der Tat eine komische Idee. Wollen Sie mich mit Ihrem Austin fahren?«
    »Ich befürchte, das übersteigt seine Möglichkeiten.«
    Ein Paar kam ihnen entgegen, und Daldry schwieg, bis die beiden außer Hörweite waren.
    »Ich will Ihnen sagen, was Sie an dieser Geschichte so verwirrt: Die Tatsache, dass