Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)
währenddessen hat das gnädige Fräulein sich mit ihrem Nachbarn am Meer herumgetrieben. Ich bin wirklich zu naiv!« Carol stellte eine Tasse mit Tee auf den Hocker neben Alices Bett. »Hast du nie daran gedacht, dir Möbel zu kaufen, ein richtiges Nachtkästchen zum Beispiel? Warte, Miss Geheimniskrämerin«, fuhr sie ganz aufgeregt fort. »Jetzt sag bloß nicht, dass sein Auftauchen beim letzten Mal ein abgekartetes Spiel war, um uns loszuwerden und den Rest des Abends allein mit dir zu verbringen?«
»Carol!«, zischte Alice leise und deutete auf die Wand zur Nachbarwohnung. »Sei still und setz dich! Du bist ebenso ermüdend wie die schlimmste Grippe.«
»Du hast keine Grippe, nur eine Erkältung«, erwiderte Carol, die sich nicht gern zurechtweisen ließ.
»Der Ausflug war nicht vorgesehen. Es war großzügig von ihm. Und lass dieses süffisante Lächeln. Zwischen uns gibt es nichts als gegenseitige höfliche Sympathie. Er ist gar nicht mein Typ.«
»Warum bist du noch einmal nach Brighton gefahren?«
»Ich bin müde, ich möchte mich ausruhen«, bat Alice.
»Rührend, wie sehr dich meine Fürsorge beeindruckt.«
»Lass mich diesen Hefekuchen probieren, statt Unsinn zu reden«, antwortete Alice, bevor sie niesen musste.
»Na, da siehst du’s ja, du hast einen dicken Schnupfen.«
»Ich muss schauen, dass ich den loswerde und möglichst schnell wieder an die Arbeit komme«, meinte Alice und setzte sich in ihrem Bett auf. »Ich werde verrückt, wenn ich untätig herumsitze.«
»Du wirst dich in Geduld üben müssen, der kleine Ausflug nach Brighton wird für eine Woche deinen Geruchssinn lahmlegen. Sagst du mir jetzt endlich, was du dort wolltest?«
Je mehr Alice erzählte, desto verblüffter war Carol.
»Also wirklich«, rief sie dann, »an deiner Stelle wäre ich auch erschrocken. Da brauchst du dich nicht länger zu wundern, dass du hinterher krank geworden bist.«
»Sehr witzig«, gab Alice mit einem Schulterzucken zurück.
»Also, Alice, die ganze Sache ist grotesk, das ist nur leeres Geschwätz. Was soll das bedeuten: ›Nichts von dem, was du zu sein glaubst, entspricht der Realität?‹ Auf jeden Fall war es ein toller Dienst von deinem Nachbarn, so viele Kilometer zurückzulegen, damit du dir solchen Blödsinn anhörst. Auch wenn ich andere Jungs kenne, die noch mehr getan hätten, um dich in ihrem Auto spazieren fahren zu dürfen. Das Leben ist wirklich ungerecht, ich habe so viel Liebe zu geben, und du gefällst den Männern.«
»Welchen Männern? Ich bin von morgens bis abends allein, und nachts sieht es auch nicht anders aus.«
»Sollen wir noch einmal über Anton reden? Wenn du allein bist, dann ist das deine eigene Schuld. Du bist eine Idealistin, die es nicht versteht, ihr Leben zu genießen. Aber vielleicht hast du ja im Grunde recht. Ich glaube, ich hätte gerne meinen ersten Kuss auf einem Holzpferd bekommen«, sagte Carol traurig. »Ich muss gehen, ich komme zu spät ins Krankenhaus. Und vor allem möchte ich nicht stören, falls dein Nachbar wieder aufkreuzt.«
»Jetzt reicht es aber! Ich sage dir doch, dass zwischen uns nichts ist.«
»Ich weiß, er ist nicht dein Typ, außerdem wartet ja irgendwo in der Ferne ein Märchenprinz auf dich … Vielleicht solltest du Urlaub machen und ihn suchen. Wenn ich die nötigen Mittel hätte, würde ich dich gerne begleiten. Ich mache Witze, aber eine Reise unter Freundinnen, das muss schon ein tolles Abenteuer sein … In der Türkei ist es warm, und die Jungs sind sicher knackig braun gebrannt.«
Alice war eingenickt. Carol nahm die Decke, die vor dem Sessel lag, und breitete sie auf dem Bett aus.
»Schlaf gut«, flüsterte sie, »ich bin ein Luder und eifersüchtig, aber du bist meine beste Freundin, und ich liebe dich wie eine Schwester. Ich besuche dich morgen nach dem Dienst wieder. Du wirst dich schnell erholen.«
Carol zog ihren Mantel an und entfernte sich auf Zehenspitzen. Auf dem Treppenabsatz traf sie Daldry, der einkaufen ging. Sie stiegen gemeinsam die Treppe hinab. Als sie auf der Straße waren, drehte sich Carol zu ihm um.
»Sie wird bald wieder gesund sein«, erklärte sie.
»Welch gute Nachricht.«
»Es war nett von Ihnen, dass Sie sich so um sie gekümmert haben.«
»Das ist ja unter Nachbarn wohl das Mindeste …«
»Auf Wiedersehen, Mister Daldry.«
»Noch eine letzte Sache, nur zu Ihrer Information, auch wenn es Sie nichts angeht: Sie müssen wissen, dass auch sie nicht mein Typ ist, und zwar ganz und gar
Weitere Kostenlose Bücher