Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)
umzuziehen.«
»Ach, gehen wir zu einem Ball?«, fragte Alice ironisch.
»Fast«, erwiderte Daldry, »aber mehr verrate ich nicht. Und jetzt steigen Sie ein, ich habe den Eindruck, die Sache entspannt sich.«
»Nun, ich habe eine bessere Sicht als Sie in dem Wagen und kann Ihnen versichern, dass sich nichts entspannt. Wir wollen zum Hotel Sacher, nicht wahr?«
»In der Tat, warum?«
»Weil ich von meinem Standort aus schon das Schild sehen kann, Herr Meckertopf. Ich denke, zu Fuß sind es keine fünf Minuten von hier.«
Daldry sah Alice verblüfft an. Da die Luftfahrtgesellschaft die Kosten für die Taxifahrt übernahm, stieg er einfach aus, holte ihr Gepäck aus dem Kofferraum und bat Alice, ihm zu folgen.
Trotz der rutschigen Bürgersteige schritt Daldry kräftig aus.
»Wir fallen noch hin«, rief Alice und hielt sich an Daldrys Ärmel fest. »Was gibt es denn um Himmels willen so Dringendes?«
»Wenn ich es Ihnen sage, ist es keine Überraschung mehr. Beeilen wir uns, ich sehe schon den Hoteleingang, keine dreihundert Meter mehr, und wir sind da.«
Der Portier kam ihnen entgegengeeilt, nahm das Gepäck und hielt ihnen die Tür auf.
Alice bewunderte den großen Kristalllüster, der in der Mitte der Halle hing. Daldry hatte zwei Zimmer reserviert. Er füllte die Anmeldeformulare aus und ließ sich die Schlüssel geben. Dann sah er auf die Wanduhr in der Bar und machte ein betroffenes Gesicht.
»So, nun ist es zu spät!«
»Wenn Sie es sagen«, meinte Alice.
»Was soll’s, wir gehen einfach hin, unter unseren Mänteln sieht man sowieso nichts.«
Daldry führte sie im Laufschritt über die Straße. Vor ihnen erhob sich ein prächtiger Bau im Stil der Neorenaissance. Zu beiden Seiten der Hauptfassade erhoben sich mächtige schwarze Reiterstatuen, die den Eindruck erweckten, als wollten sie jeden Augenblick losgaloppieren. Die Kupferkuppel der Oper war gewaltig.
Männer im Smoking und Frauen in langen Kleidern eilten die Treppe hinauf. Daldry fasste Alice beim Arm und schloss sich ihnen an.
»Sagen Sie bloß nicht …«, flüsterte Alice ihm zu.
»Dass wir in die Oper gehen? Doch! Ich habe diese kleine Überraschung für uns vorbereitet. Das Reisebüro in London hat sich um alles gekümmert. Unsere Eintrittskarten liegen an der Kasse bereit. Es ist unmöglich, eine Nacht in Wien zu verbringen, ohne hier eine musikalische Darbietung zu sehen.«
»Aber doch nicht in dem Aufzug, in dem ich gereist bin«, sagte Alice. »Sehen Sie sich die Leute ringsumher an, ich wirke dagegen wie ein Aschenputtel.«
»Was glauben Sie, warum ich mich in dem verdammten Taxi so aufgeregt habe? Abendkleidung ist Vorschrift, also machen Sie es so wie ich: Knöpfen Sie Ihren Mantel gut zu, wir werden ablegen, wenn es einmal dunkel im Saal ist. Und bitte keine weiteren Bemerkungen, für Mozart bin ich zu allem bereit.«
Alice war so glücklich, zum ersten Mal in die Oper zu gehen, dass sie Daldry ohne weitere Einwände gehorchte. In der Hoffnung, der Aufmerksamkeit der Portiers, Kontrolleure und Programmverkäufer in der großen Halle zu entgehen, schlängelten sie sich durch die Zuschauermenge. Daldry nannte der Dame an der Kasse seinen Namen. Sie rückte ihre Brille zurecht und fuhr mit einem Holzlineal über die lange Liste vor sich.
»Mister und Misses Daldry aus London«, sagte sie schließlich mit einem starken österreichischen Akzent und reichte ihm die Karten.
Ein Klingelzeichen verkündete den Beginn der Aufführung. Alice hätte gerne Zeit gehabt, die Örtlichkeiten zu bewundern, die prachtvolle große Treppe, die riesigen Lüster, die Vergoldungen, aber Daldry ließ ihr nicht die Muße dazu. Er zog sie pausenlos am Arm, damit sie im Zuschauerstrom, der auf den Einlass zustrebte, verborgen blieben. Als die Reihe an ihnen war, hielt Daldry den Atem an. Der Kontrolleur bat sie, ihre Mäntel an der Garderobe abzugeben, doch Daldry tat, als würde er nichts verstehen. Die Wartenden hinter ihnen wurden ungeduldig, und so verdrehte der Mann schließlich die Augen, riss das Ticket ab und ließ sie durch. Die Platzanweiserin musterte Alice und bat sie ebenfalls, ihren Mantel abzulegen. Es sei verboten, ihn im Saal anzubehalten. Alice wurde rot, Daldry empörte sich und tat wieder so, als würde er kein Wort verstehen, doch die Platzanweiserin hatte ihn durchschaut und bat ihn in korrektem Englisch, der Aufforderung Folge zu leisten. Die Kleiderordnung sei strikt und Abendkleidung Vorschrift.
»Nachdem Sie unsere
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