Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)
sie den Duft nach Jasmin. Tränen, die sie nicht zurückhalten kann, rinnen über ihre Wangen. Sie möchte das Schluchzen unterdrücken, doch die Angst ist zu groß.
In der Finsternis taucht das Auge der Straßenbahn auf. Man zieht sie in einen Hofeingang. In die Dunkelheit gekauert, sieht sie den erleuchteten Wagen, der in ein anderes Viertel fährt. Das Quietschen der Räder verhallt in der Ferne, und es wird wieder ruhig auf der Straße.
»Komm, du kannst nicht hierbleiben«, sagt jemand.
Ihre Schritte sind so eilig, dass sie mehrmals ausrutscht und über unregelmäßige Pflastersteine stolpert. Aber jedes Mal hält die Hand sie fest.
»Lauf, Alice, bitte, sei tapfer. Dreh dich nicht um.«
Sie würde gerne stehen bleiben und wieder zu Atem kommen. In der Ferne sieht sie einen langen Zug von Männern und Frauen, die von Wachen begleitet werden.
»Nicht hier entlang, wir müssen einen anderen Weg finden.«
Sie kehrt um, zählt die Schritte, die sie so viel Kraft gekostet haben, in die andere Richtung. Am Ende der Straße fließt ein großer Fluss, der Mond spiegelt sich auf der bewegten Oberfläche.
»Geh nicht zu nah ans Wasser, sonst fällst du noch rein. Wir haben es fast geschafft, noch eine kleine Anstrengung, dann können wir uns ausruhen.«
Alice läuft am Ufer entlang, um ein Haus herum, dessen Fundament in den dunklen Fluten steht. Plötzlich verfinstert sich der Himmel, sie hebt den Kopf, und schwerer Regen prasselt auf sie nieder.
Mit einem Schrei erwachte Alice, es war ein fast animalischer Schrei, der eines kleinen Mädchens, das von panischer Angst gequält wird. Entsetzt richtete sie sich auf und schaltete das Licht ein.
Es dauerte eine ganze Weile, bis sich ihr wild schlagendes Herz beruhigt hatte. Sie schlüpfte in ihren Bademantel und trat ans Fenster. Ein Gewitter mit heftigen Regenschauern ging auf die Dächer Istanbuls nieder. Die letzte Straßenbahn fuhr Richtung Tepebaşı. Alice zog den Vorhang zu, fest entschlossen, Daldry gleich am nächsten Morgen mitzuteilen, dass sie nach London zurückkehren wollte.
Kapitel 7
Leise schloss Daldry die Tür seines Hotelzimmers und ging über den Flur, ganz darauf bedacht, keinen Lärm zu machen, als er an dem Zimmer von Alice vorbeikam. In der Lobby zog er seinen Regenmantel über und bat den Portier, ihm ein Taxi zu rufen. Can hatte nicht gelogen, er brauchte dem Fahrer nur den Namen der Konditorei Lebon zu nennen, und dieser fuhr los. Der Verkehr war bereits recht dicht, und es dauerte zehn Minuten, bis Daldry sein Ziel erreicht hatte.
»Ich dachte schon, Sie hätten mich versetzt«, sagte Can und erhob sich, um Daldry zu begrüßen. »Haben Sie Hunger?«
»Und wie«, antwortete Daldry, »ich hatte noch kein Frühstück.«
Can gab eine Bestellung bei dem Kellner auf, der Daldry verschiedene kleine Tellerchen mit aufgeschnittenen Gurken, Eiern, Paprika, Oliven, Feta, Kaşar und grüner Paprika brachte.
»Glauben Sie, es wäre möglich, einen Tee und Toast zu bekommen?«, fragte Daldry und bedachte die Speisen, die der Kellner vor ihn auf den Tisch gestellt hatte, mit einem skeptischen Blick.
»Darf ich daraus schließen, dass Sie sich entschieden haben, mich als Führer anzufeuern?«, fragte Can.
»Da kommt mir eine Frage in den Sinn, bitte nehmen Sie es mir nicht übel … Aber Sie kennen Istanbul besser als die englische Sprache, nicht wahr?«
»Ich bin in beiden Bereichen der Beste, warum?«
Daldry musterte Can und seufzte tief. »Gut, kommen wir zur Sache, dann werden wir sehen, ob wir uns einig werden«, sagte er.
Can zog eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche und bot Daldry eine an.
»Nie auf nüchternen Magen«, antwortete dieser.
»Was genau suchen Sie in Istanbul?«, fragte Can und riss ein Streichholz an.
»Einen Ehemann«, murmelte Daldry.
Can verschluckte sich am Rauch seiner Zigarette.
»Tut mir leid, aber da klopfen Sie an die falsche Adresse. Ich hatte schon außergewöhnliche Anfragen, aber diese ist der Zipfel! Solche Art Geschäfte vermittele ich nicht.«
»Seien Sie nicht albern, das ist doch nicht für mich, sondern für eine Frau, mit der ich ein kleines Geschäft machen will.«
»Welche Art Geschäft?«
»Es geht um eine Immobilie.«
»Wenn Sie ein Haus oder eine Wohnung kaufen wollen, kann ich Sie leicht verbinden. Nennen Sie mir Ihr Budget, und ich mache Ihnen interessante Angebote. Es ist eine gute Idee, hier investieren zu wollen. Die Wirtschaft ist momentan in einer besonderen Situation, aber
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