Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)
Holzes, sobald die Sonne herauskam. Im Sommer den des trockenen Grases, in den Scheunen den des Heus, in dem wir uns versteckten, ja sogar den des Misthaufens, in den Du mich einmal geschubst hast … und auch den Duft des Flieders, den Du mir zu meinem sechzehnten Geburtstag geschenkt hast.
Durch die Düfte, die mir in den Sinn kommen, könnte ich Dir so viele Erinnerungen an unsere Jugend und auch an später aufzählen. Weißt Du eigentlich, Anton, dass Deine Hände einen pfeffrigen Geruch verströmen, eine Mischung aus Kupfer, Seife und Tabak?
Pass gut auf Dich auf, Anton, ich hoffe, dass ich Dir auch ein wenig fehle.
Nächste Woche schreibe ich Dir wieder.
Ich umarme Dich.
Alice
Nach dem Unwetter wollte es gar nicht mehr aufhören zu regnen, sodass der Schnee bald verschwunden war. In den folgenden Tagen zeigte Can seinen beiden Kunden verschiedene Sehenswürdigkeiten der Stadt. Sie besuchten den Topkapi-Palast, die Süleymaniye-Moschee, die Grabstätten von Soliman und Roxelane, sie spazierten stundenlang durch die geschäftigen Straßen rund um die Galata-Brücke und durchstreiften die Gassen des ägyptischen Basars. Im Gewürzbasar blieb Alice vor jeder Auslage stehen und schnupperte an den Pulvern, am Absud getrockneter Blüten, den Parfümflakons. Daldry war erstmals aufrichtig begeistert angesichts der wundervollen Iznik-Keramik in der Rüstem-Pascha-Moschee und erneut von den Fresken der Chora-Kirche. Als sie durch die Gassen eines alten Viertels spazierten, dessen Holzhäuser von den großen Bränden verschont geblieben waren, fühlte Alice sich unwohl und wollte fort von dort. Sie empfahl Daldry, auf den Galata-Turm hinaufzusteigen, den sie bereits ohne ihn aufgesucht hatte. Doch das Schönste war sicher die Blumenpassage und die Halle des Blumenmarkts, in die Can sie führte und wo sie den ganzen restlichen Tag verbringen wollte. Sie aßen in einer der zahlreichen kleinen Kneipen. Am Donnerstag stand das Viertel Dolmabahçe auf dem Programm, am Freitag das Eyüp-Viertel am Ende des Goldenen Horns. Nachdem sie das Grabmal eines Gefährten Mohammeds besucht hatten, stiegen sie die Stufen zum Friedhof hinauf und genehmigten sich eine Pause im Café Pierre Loti. Aus den Fenstern des alten Hauses, das der Schriftsteller häufig aufgesucht hatte, hatte man einen herrlichen Blick auf den Bosporus und seine beiden Ufer.
An diesem Abend vertraute Alice Daldry an, es sei nun vielleicht die Zeit gekommen, an die Rückreise nach London zu denken.
»Sie wollen aufgeben?«
»Wir haben die falsche Jahreszeit gewählt, lieber Daldry. Wir hätten mit dieser Reise warten sollen, bis die Vegetation wieder aufblüht. Wenn ich Ihnen zudem je alles zurückzahlen möchte, was Sie ausgegeben haben, wäre es besser, dass ich mich bald wieder an meinen Arbeitstisch begebe. Ich habe Ihnen eine außergewöhnliche Reise zu verdanken, von der ich, den Kopf voll neuer Ideen, zurückkehren werde, aber ich muss diese nun auch in die Tat umsetzen.«
»Sie wissen sehr wohl, dass uns nicht Ihre Parfüms hierhergeführt haben.«
»Ich weiß nicht, was mich hierhergeführt hat. Die Vorhersagen einer Hellseherin? Meine Albträume? Ihre Hartnäckigkeit und die Möglichkeit, die Sie mir geboten haben, meinem Leben vorübergehend zu entfliehen? Ich wollte gerne glauben, dass meine Eltern einmal in Istanbul waren. Die Vorstellung, auf ihren Spuren zu wandeln, brachte mich ihnen wieder näher, aber wir haben keine Nachricht vom Konsul erhalten. Ich muss erwachsen werden, Daldry, auch wenn ich dieser Notwendigkeit mit aller Kraft Widerstand leiste, und dasselbe gilt auch für Sie.«
»Damit bin ich nicht einverstanden. Ich gebe zu, dass wir die Möglichkeit über das Konsulat vielleicht überschätzt haben, aber denken Sie doch an dieses Leben, das Ihnen die Wahrsagerin in Aussicht gestellt hat, an diesen Mann, der Sie am Ende der Reise erwartet. Und ich meinerseits habe Ihnen versprochen, Sie zu ihm zu führen oder zumindest bis zum zweiten Glied in der Kette. Ich bin ein Ehrenmann und halte mein Wort. Es kommt nicht infrage, angesichts irgendwelcher Widrigkeiten aufzugeben. Wir haben unsere Zeit nicht vergeudet, ganz im Gegenteil. Sie haben neue Ideen gesammelt, und es werden weitere dazukommen, da bin ich mir ganz sicher. Früher oder später werden wir auch diese zweite Person finden, die uns zur dritten führt und so weiter …«
»Daldry, lassen Sie uns vernünftig sein. Ich verlange ja nicht von Ihnen, dass wir bereits morgen
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