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Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Tarenzi
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durchlebte ich die Ereignisse in der Krypta wieder und wieder, und auch tagsüber gelang es mir selten, an etwas anderes zu denken. Ganz langsam bahnte sich in mir das Bewusstsein einen Weg, dass ich nur einen Schritt vom Tod entfernt gewesen war: Wenn es den Luperci gelungen wäre, ihren Exorzismus zu Ende zu bringen und den Wolf auszutreiben – was sie ja für absolut realistisch hielten –, dann hätte ich das mit dem Leben bezahlt. Das hatte der Conte gesagt, und das wussten sie selbst auch: Schließlich hatten sie sogar in meinem Beisein davon gesprochen.
    Aber in jenen schrecklichen Momenten, als ich im Würgegriff des Eisenhuts gefangen war, hatte ich gar nicht an den Tod gedacht, sondern nur an Ivan und seinen Verrat.
    Zusammen mit dem Schmerz kam die Wut. Die Wut auf ihn für das, was er mir angetan hatte, die Wut auf mich selbst, weil ich ihm geglaubt hatte, die Wut auf die ganze Welt, für alles, was geschehen war, für meine Naivität und für seine Augen, die schwarz waren wie die Nacht, und für sein verdammtes Lächeln, das so schön war, dass es selbst in der Erinnerung noch wehtat.
    Und, als ob Schmerz und Wut noch nicht genug wären, gesellte sich auch noch ein eigensinniges und hartnäckiges Stimmchen hinzu, das irgendwo in einer Ecke meiner Seele saß und nicht aufhörte, mir zu wiederholen, dass er es gewesen war, der mich aus dem Kreis befreit hatte, der mir zugerufen hatte, zu fliehen, der sich seinem Vater und allen anderen Luperci entgegengestellt hatte, um mir das Leben zu retten.
    Aber immerhin war er es auch gewesen, und zwar er ganz allein , der mich in die Falle gelockt hatte, mit seinem Charme und seinen Einladungen, der mich dazu gebracht hatte, den Kopf zu verlieren – und wenn ich trotzdem und dank seiner noch am Leben war, dann nur, weil er im letzten Moment Mitleid mit mir gehabt hatte.
    Nein, nein, so ist es nicht gewesen , insistierte das Stimmchen: Es ging ihm schon vorher schlecht damit, er wollte es nicht tun! Die Anzeichen dafür waren vom ersten Moment unserer Begegnung an sichtbar, aber ich hatte sie nicht zur Kenntnis genommen. Ivan hatte meinetwegen geweint, dort in der Krypta des Mithras. Es war kein Mitleid, das ihn dazu gebracht hatte, mich zu retten: Es war kein Mitgefühl, das in seinen Augen zu lesen war. Es war mehr. Vielleicht war das, was zwischen uns gewesen ist, nicht nur eine Täuschung, vielleicht hatte auch er für mich das Gleiche empfunden wie ich für ihn … Und vielleicht hatte er mich nur in die Falle gelockt, weil er nicht anders konnte, weil sein Vater und seine wahnsinnige Verpflichtung für die Sache der Luperci ihn dazu gezwungen hatten.
    Vielleicht … und vielleicht auch nicht. Vielleicht bedeutete ich ihm nichts, vielleicht hatte er sich nur mit mir verabredet, weil er mich an diesem Tag und zu dieser Stunde in diesem verdammten Keller haben musste, weil für ihn und die anderen Mitglieder seiner Sekte nur eins zählte: den Wolf zu fangen – mit besten Grüßen und einem vagen Bedauern für das Mädchen, das sie dafür aus dem Weg räumen mussten! …
    Stunde um Stunde, Tag um Tag quälte ich mich mit solchen Grübeleien. Tausend Mal nahm ich das Handy zur Hand und starrte unter Tränen auf seine Nummer, unentschlossen, ob ich sie wählen oder für immer löschen sollte. Am Ende tat ich weder das eine noch das andere. Ein paarmal ertappte mich meine Mutter dabei, sagte aber nichts und beschränkte sich lediglich auf ein aufmunterndes Lächeln und die Frage, ob ich noch etwas brauchen würde.
    Wer sich hingegen um Beistand bemühte, war Irene. Da sie nichts von mir gehört hatte, bombardierte sie mich seit Mittwochabend mit SMS -Botschaften, auf die ich viel knapper antwortete, als sie es verdient hätte. Sie war schrecklich besorgt, als sie erfuhr, dass ich krank war, und versuchte gleich, mich anzurufen. Ich bat meine Mutter, ihr zu sagen, dass ich nicht in der Lage war, ein Gespräch zu führen (was fast stimmte): In Wirklichkeit hatte ich zwar Lust, ihre Stimme zu hören, aber auch Angst, dass es ich es nicht schaffen würde, die Wahrheit für mich zu behalten.
    Als sie das nächste Mal anrief, ging ich ran. Sie wollte mich unbedingt besuchen kommen, aber ich sagte ihr immer wieder, dass es mir noch zu schlecht ging, bis mir am Samstag nach dem Mittagessen herausrutschte, dass das Fieber gesunken war. Kaum eine Stunde später stand sie vor meiner Tür, mit der größten und teuersten Pralinenschachtel, die ich je in meinem Leben gesehen

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