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Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Tarenzi
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Luftzug, den ihr Flug verursachte, hüllte mich in eine Wolke aus Ausdünstungen: Schweiß, Adrenalin, Blut. Bei unserem Kampf hatte Angela sich eine Wange aufgekratzt.
    Ich bohrte meinen Blick in den ihren. Ihre Augen waren weit aufgerissen, und sie röchelte, denn trotz der Matratzen hatte ihr der Aufprall alle Luft aus den Lungen gesogen. Aber selbst in diesem Moment war sie noch schön. Es war die Schönheit der zu Tode erschrockenen Heldin, einen Augenblick, bevor das Monster sie verschlingt.
    Und ich wusste plötzlich, dass ich sie umbringen würde. Es war kein Gedanke, sondern eine Feststellung. Sie war meine Beute. Meine ersehnte Beute. Mein würdiges Opfer.
    Es musste einfach so enden.
    »Veronica!« Irenes Stimme kam aus dem Korridor jenseits der Tür. »Wo treibst du dich bloß herum? Ich warte schon die ganze …«
    Ich sah, wie sich der Türgriff senkte, und konnte gerade noch denken: Nein!
    Irene riss die Tür auf und erstarrte zu Stein.
    Zu meinen Füßen krümmte sich Angela in sich zusammen und sackte in dem Versuch, vor mir zurückzuweichen, noch tiefer zwischen die Matratzen.
    »Was machst du denn da?«, keuchte Irene.
    » Geh weg! «, stieß ich mit aller Kraft zwischen den Zähnen hervor. » Weg! «
    »Veronica …«
    Irene machte zwei Schritte auf mich zu, und ihr Geruch schlug wie eine Welle über meinem Kopf zusammen. Ich sah die Schlagader, die an ihrem Hals pulsierte, schneller als sonst. Ihre Venen waren Streifen dunklen Blaus unter der weißen Haut.
    Nein, nein, nein …
    Angela hatte sich aufgerappelt und rannte jetzt auf die Tür zu. Ich stürzte hinter ihr her, aber Irene warf sich zwischen uns.
    »Veronica!«
    Angela rannte zur Tür hinaus, ich packte Irene an der Taille, hob sie in die Luft und drückte fest zu. Sie stieß einen spitzen Schrei aus, sträubte sich und hieb mir ihr Knie ins Gesicht, aber ich merkte es kaum: Ich roch nur den Duft der Angst und hörte das Schlagen ihres Herzens. Und einen anderen Geruch nahm ich wahr, den nach Salz. Es war der Geruch ihrer Tränen.
    Ich katapultierte sie in Richtung Matratzen. Ein hässlicher Flug.
    Mehr konnte ich nicht tun: Eine Sekunde später hätte ich sie mit meinen Zähnen zerfleischt.
    Ich lief, ohne zu sehen, wohin. Nach einer Weile ließ der Wolf von mir ab, aber wieder hätte ich nicht sagen können, wann genau. Ich lief eine Ewigkeit, schien mir. Aber vielleicht waren es in Wirklichkeit auch nur wenige Minuten.
    Als ich wieder zu Bewusstsein kam, saß ich auf einer Bank, zitternd wie ein Blatt im Wind, der Kragen meines Trainingsanzugs war patschnass vor Tränen. Ich kramte in meinen Taschen, zog mein Handy heraus und rief Irene an. Zwei Klingeltöne, dann wurde der Anruf abgelehnt.
    Ich wählte eine andere Nummer.
    Ivan antwortete sofort. »Veronica …«
    »Ich werde es tun.«
    Er schwieg einen Moment. »Was tun?«
    »Alles, was dir dazu einfällt. Alles, was du willst, um den Wolf zu verjagen. Alles.«

Kapitel 31
    Sonntag, 8. März
    Zunehmender Mond
    W ir trafen uns Sonntagnacht nördlich vom Zentrum, an einer Metro-Haltestelle, die ich nicht kannte. Hinter mir lag das, was ich als schlimmstes Wochenende meines Lebens bezeichnen würde.
    Ich hatte Irene keine tausend Mal angerufen, sondern nach dem sechsten Versuch aufgegeben. Stattdessen hatte ich angefangen, die Stunden zu zählen, in Erwartung, dass ihre Familie sich bei mir melden würde. Oder die von Angela oder die Schule, jedenfalls irgendjemand, der die Absicht hatte, meinen Eltern zu erzählen, was ich getan hatte, und damit das zu zerstören, was von meinem Leben noch übrig war. Aber das Telefon blieb die ganze Zeit ruhig. Umso besser, natürlich, aber die dauernde Ungewissheit, ob dieser Anruf nun kommen würde oder nicht, war genügend Qual und machte mir die Zeit zur Hölle.
    Ivan wartete am Ausgang der Metro auf mich, er hatte sich in der Nähe einer großen Straße untergestellt. Daneben ragte ein Gebäude in die Höhe, das nach seiner Aussage der zweite Bahnhof der Stadt war: ein monströses und ziemlich unansehnliches Gebäude aus Glas und Beton mit einer riesigen Baustelle davor, die von absolut nervigen, gelblichen Lichtern ausgestrahlt wurde. Vermutlich war das tagsüber eine verkehrsreiche Gegend, aber am Sonntag um zwei Uhr nachts war sie wie ausgestorben.
    Es war windstill und kalt, der Himmel glänzte pechschwarz. Wir begrüßten uns wortlos, und ich folgte Ivan zum Bahnhof. Zwischen uns herrschte immer noch jenes angespannte Schweigen, das voller

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