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Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Tarenzi
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erleichtert und überschüttete mich ebenfalls mit guten Ratschlägen, aber ich beendete das Gespräch so schnell wie möglich. Nicht, dass ich das gewollt hätte, aber ich hatte Angst, dass meine Mutter uns hören könnte.
    Nach dem Abendessen widmete ich mich den Hausaufgaben, die ich am Nachmittag vernachlässigt hatte, und dann folgten die üblichen langen Stunden der Dunkelheit, die ich wach im Bett liegend verbrachte. Auch sie waren mir in der Zwischenzeit vertraut geworden.
    Ich ging alles nochmals im Kopf durch, jedes einzelne Wort, das in diesem vergangenen Monat gesagt worden war, einem Monat, der mir noch immer wie ein seltsamer Traum vorkam. Ich dachte an die Wahrheiten und die Lügen, die Erklärungen, die Streitigkeiten, die Versprechen. Ich dachte an die Vergangenheit und an die Zukunft, an das, was Ivan gesagt hatte, und der Conte und schließlich Irene. Und plötzlich nahm, praktisch von selbst, ein Plan in meinem Kopf Gestalt an.
    Ich hatte die Sache nicht etwa sorgfältig geplant. Es war vielmehr etwas, das es gerade eben noch nicht gegeben hatte und einen Augenblick später einfach da war. Ein absurder Plan, genau wie alles andere, was ich bis zu diesem Moment getan hatte.
    Aber ich beschloss, es dennoch zu versuchen. Ohne langes Federlesen. Es war keine schlechtere Entscheidung als viele andere der letzten Zeit.
    Allerdings fehlte mir noch ein kleines Detail: ein letztes Geheimnis. Und ich wusste auch, wo ich es finden würde.
    Ich stand auf, zog leise die Sachen an, die ich bei meinem Lauf über die Dächer immer trug, ging auf Zehenspitzen in die Küche und schmierte mir, ohne das geringste Geräusch zu machen, im Dunkeln vier Brote. Ich steckte sie zusammen mit einem Apfel und zwei Pausensnacks in eine Papiertüte und dann zusätzlich noch in eine Plastiktüte, da es draußen immer noch regnete.
    Dann ging ich zurück in mein Zimmer: Der Radiowecker zeigte 3.55 Uhr. Ich hatte also genug Zeit, um vorm Morgengrauen zurück zu sein. Ich öffnete das Fenster und rief den Wolf, wobei ich mir selbst das Versprechen gab, dass es vor Vollmond das letzte Mal sein würde.
    Immer wieder zuckten Blitze über den Himmel, während ich durch den Regen lief, der Wind fuhr mir durch die Haare und meine nackten Füße berührten kaum die nassen Dachziegel unter mir. Es war schön, es war wild und es war aufregend, wie bestimmte Träume, an die man sich beim Aufwachen kaum noch erinnert, die aber eine unaussprechliche Sehnsucht in einem zurücklassen.
    Ich landete in der Gasse unter der Pinie, direkt vor einem Haufen Decken und nassen Kartons: Durch die Ritzen schimmerte, blasses orangefarbenes Licht, die Aura eines schlafenden Körpers. Es tat mir leid, ihn wecken zu müssen, aber es ging nun mal nicht anders.
    Ich schüttelte ihn sanft. »Hey.«
    Mit einem Ruck fuhr er hoch und setzte sich auf, in einem Sekundenbruchteil hellwach. Ich hätte damit rechnen müssen, bei jemandem, der es gewohnt war, auf der Straße zu leben.
    Unter der patschnassen Decke, die um seinen Kopf gewickelt war wie eine Kapuze, sah ich die gelben Reptilienaugen leuchten, voller Überraschung und Panik.
    Ich trat einen Schritt zurück. »Es ist alles in Ordnung! Ich bin’s nur. Veronica. Erkennst du mich wieder? Veronica …«
    Die Schlangenaugen weiteten sich noch mehr. Ich blieb unbeweglich stehen, und nach einer Weile entspannten sich seine Schultern und seine Augenlider senkten sich.
    »Erinnerst du dich an mich?«
    Er nickte, in kleinen Rucken, immer noch mit dem Gesichtsausdruck von jemandem, der auf frischer Tat ertappt worden war, während er etwas tat, was er nicht hätte tun dürfen.
    »Schau mal, ich hab dir was mitgebracht.«
    Ich löste den Plastikbeutel von meinem Gürtel und zog die Papiertüte heraus. Essensgeruch stieg mir in die Nase, die Nasenflügel des Bettlers zitterten nicht anders als meine.
    Ich hielt ihm die Tüte hin. »Nimm. Das ist für dich.«
    Er streckte eine Hand aus, erst zögerlich, dann ganz schnell: Er riss mir die Tüte förmlich aus der Hand und ließ sie in seinem Deckenknäuel verschwinden. Ich blieb stehen, während er den Inhalt untersuchte, eines der Brote herauszog und es mit jenem Heißhunger verschlang, der typisch für Obdachlose und schmerzhaft anzusehen ist.
    Ich sah, dass er mich anstarrte, und lächelte ihm zu, und diesmal lächelte auch er, mit vollem Mund.
    »Hör zu, ich möchte dich um einen Gefallen bitten. Es handelt sich um etwas sehr Wichtiges.«
    Er fuhr fort, zu kauen und

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