Die zwei Monde: Roman (German Edition)
Zimmer, um zu lernen (wenig), auf und ab zu tigern (viel) und mir Szenarien auszudenken, in denen ich Elenas Haare dazu benutzte, Susanna zu erwürgen, oder Susannas Brille dazu, dem blonden Engel die Kehle durchzuschneiden.
Es wurde Abend, ich hörte meine Mutter nach Hause kommen und mich mit leiser Stimme durch die Tür begrüßen. Ich antwortete ihr nicht.
Als Zeit fürs Abendessen war, klopften meine Eltern, aber ich rief zurück, sie sollten mich in Ruhe lassen. Ich hörte jemand weggehen, wenig später wiederkommen und dann wieder gehen. Ich wartete ein paar Minuten, dann öffnete ich die Tür einen Spaltbreit: Auf der Schwelle stand ein Tablett mit meinem Abendessen, es war noch warm. Ich zog es herein in mein Zimmer und bemühte mich, vor dem Fernseher etwas zu essen, allerdings mit geringem Erfolg.
Ich machte ziemlich früh das Licht aus, hoffend und betend, wenigstens heute Nacht ein wenig Schlaf nachholen zu können. Aber ich lag in der Dunkelheit eine Ewigkeit wach, bis ich mich schließlich geschlagen gab, das Licht wieder anmachte und einen Comic von meinem Schreibtisch holte. Der Schlaf kam irgendwann zwischen zwei Seiten, eine Windbö, die die Kerze meines Bewusstseins ausblies.
Ich befand mich auf dem Plateau eines Hügels, das von einigen wenigen, weit auseinanderstehenden Bäumen bedeckt war. Über mir ein Sommerhimmel voller Sterne, mit einem Vollmond, der lange Baumschatten auf den Boden warf, so scharf umrissen, dass sie mit Tinte gezeichnet schienen.
Ein Klageruf, den der Wind zu mir herüberwehte, hatte mich hierhergelockt, ein schwacher und unartikulierter Laut, begleitet von dem Geruch von etwas Lebendigem: nicht der süße und komplexe Geruch von Menschen, sondern etwas Herberes, Direkteres. Der Geruch einer tierischen Beute.
Der Hunger war stark, wie immer. Mein Gehör und mein Geruchssinn hatten mich auf diesen Hügel geführt, auf dem ich jetzt, im Licht des Mondes, die Umrisse von zahlreichen Pfählen erkennen konnten, die wie die Zinken eines Kamms in einer Reihe im Boden steckten.
Ich näherte mich, tief ins Gras geduckt. Auf dem Gipfel des Hügels öffnete sich eine große, kreisförmige Grube. Sie war nicht sehr tief und gerade erst ausgehoben worden: In der Luft hing noch der Geruch von Erde, die der Spaten bewegt hatte. Um den Graben herum hatte man aus den spitz geschnittenen Pfählen einen Lattenzaun errichtet, der sich ein wenig nach innen neigte. Es gab nur einen einzigen Eingang: eine Öffnung im Zaun, gerade breit genug, um einen Menschen hindurch zu lassen. Vor dieser Öffnung hing, von einem Strick gehalten, eine Art Korbdeckel. Die Klageschreie kamen aus dem Inneren.
Ich umrundete lautlos den Bau und machte vor dem Eingang halt: Im Inneren befand sich auf einem kleinen Erdhügel ein angebundenes Lamm. Es hatte meinen Geruch gewittert, ebenso wie ich den seinen, und jetzt riss es an seiner Schnur und blökte laut.
Ich blieb eine Weile stehen und starrte es an, dann bewegte ich mich zur Seite.
Der hungrige Teil von mir hätte sich gerne auf das Tier gestürzt, aber der andere Teil, der die Falle auf den ersten Blick erkannt hatte, zwang mich, innezuhalten und den Kopf zum Himmel zu heben. Der Wind wehte stärker als vorher, vom Wald her: Ich schnupperte in der Luft, und da, da war er, der Geruch von Menschen. Sie waren ganz nah im dichten Gebüsch verborgen, wartend und vor Nervosität schwitzend.
Ich kreiste um den Lattenzaun herum und postierte mich so, dass er zwischen uns lag. Dort würden sie mich nicht sehen können, während ich inzwischen sehr wohl wusste, wo sie sich befanden. Eine Minute des leisen Heranpirschens wäre genug, gut verborgen von der Dunkelheit, dann auf den letzten Metern ein Sprung und …
Das Geräusch zitternder Fensterläden riss mich aus dem Schlaf, einen Moment lang war ich wie gelähmt vor Entsetzen. Dann erst erkannte ich, dass es nur der Wind war, der Gleiche, der den ganzen Tag über geblasen hatte und jetzt, stärker geworden, an den Fensterläden in ihren Angeln rüttelte. Meine Nachttischlampe brannte noch, und die schwachen Lichter des Flughafens drangen wie immer durch die Vorhänge; keine Spur von der nachtschwarzen Finsternis, die mein Zimmer in jener Nacht heimgesucht hatte, in der sich etwas an mein Fenster geklammert hatte.
Der Wecker auf meinem Nachttisch zeigte 1.20 Uhr.
Ich setzte mich im Bett auf und spürte, dass ich hungrig war. Mit den Augen suchte ich nach dem Tablett, auf dem die kalten Reste meines
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