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Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Tarenzi
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suchst du denn?«, fragte ich sie.
    »Einen Mülleimer, der groß genug ist, damit diese Rosen hineinpassen.«
    Ich sah sie völlig konsterniert an. »Willst du sie wegschmeißen?«
    Sie rümpfte die Nase. »Es nervt mich, sie mit in die Klasse zu schleppen, aber ich habe keine Ahnung, wo ich sie verstecken soll. Es ist wirklich ein riesiger Strauß!«
    »Wer hat ihn dir überhaupt geschickt?« Ich lugte zwischen den Stielen hindurch, auf der Suche nach einem Zettel, und tatsächlich fand ich etwas Weißes, das sich zwischen den Blättern versteckt hatte.
    »Der Bote hat es mir nicht gesagt, aber ich habe so eine Ahnung …«
    Ich steckte vorsichtig die Hand in den Strauß, aber es bestand keine Gefahr, sich zu stechen: An jedem einzelnen Stengel waren die Dornen entfernt worden. Ich zog einen kleinen Umschlag mit Goldrand hervor und reichte ihn Irene; in seinem Inneren war etwas Hartes fühlbar.
    Irene öffnete den Umschlag und ließ den Inhalt auf ihre Handfläche fallen: Es war ein silberner Anhänger in Form eines Schmetterlings, der an einem Kettchen aus dem gleichen Metall hing. Wir beugten uns beide hinunter, um ihn anzuschauen. Er war ein paar Zentimeter lang, und seine Flügel waren mit kleinen blauen Brillanten besetzt.
    Ich streckte einen Finger aus, um ihn zu berühren. »Ist das Silber?«
    »Weißgold.«
    Aus der Tüte fiel nun auch ein gold umrahmtes Kärtchen: Irene las es und steckte es in die Tasche.
    »Und?«, fragte ich.
    »Andrea.«
    Ich setzte ein süffisantes Lächeln auf und bohrte ihr einen Finger in die Rippen. »Wer ist das denn?«
    Sie starrte zu Boden. »Ein Junge, den ich schon seit Ewigkeiten kenne.«
    »Wie alt ist er?«
    »Neunzehn. Sein Vater ist Lieferant bei meinem Vater. Freunde der Familie sozusagen.« Sie warf noch einen Blick auf den Anhänger in ihrer Hand, dann ließ sie auch den in ihren Manteltaschen verschwinden.
    Ich mühte mich, mein Lächeln zu halten. »Freust du dich denn nicht?«
    Mir ging durch den Kopf, dass mir niemand an diesem Tag Rosen schicken würde, geschweige denn Schmuck im Wert von mehreren Tausend Euro, aber ich sagte lieber nichts davon.
    Irene seufzte. »Jetzt werde ich ihn anrufen müssen, um mich bei ihm zu bedanken, denn wenn ich es nicht tue, dann ruft seine Mutter meine Mutter an, und dann wird er mich fragen, ob ich heute Abend etwas vorhabe, und ich werde ihm sagen müssen, dass ich nichts vorhabe, denn meine Mutter wird am Hörer des anderen Telefons bei uns zu Hause hängen und unser Gespräch mit anhören. Und er wird mich in die Innenstadt führen, in irgendein Restaurant, in dem man schon letztes Jahr anrufen musste, um einen Tisch zu reservieren, und wo er tatsächlich schon einen Tisch für zwei reserviert haben wird.«
    »Und da beklagst du dich noch?« Es war mir rausgerutscht, bevor ich darüber nachdenken konnte.
    »Nein. Das heißt, ich weiß, dass ich das nicht sollte …«
    »Was ist er denn für ein Typ?«
    »Der Typ, der dir am frühen Morgen fünfzig rote Rosen in die Schule schickt.«
    Ich kapierte, dass es besser war, nicht weiter darauf herumzureiten. Sie starrte den Strauß noch ein paar Sekunden lang an, dann betrat sie resigniert das Klassenzimmer. Ich war ganz froh, dass sie die Hälfte, die ich in der Hand hielt, nicht zurückgefordert hatte: So würde es für die anderen wenigstens danach aussehen, als hätten wir beide den gleichen Strauß Rosen erhalten.
    Im Zimmer waren einige Pralinenschachteln zu sehen, die auf verschiedenen Bänken thronten, und die Mädchen gebärdeten sich aufgeregter und lauter als sonst. Ich schaffte es nicht, einen prüfenden Blick auf die zweite Reihe zu vermeiden: Susanna schob gerade ihre Haare zurück, um ihren Freundinnen ein Paar neuer Ohrringe zu zeigen, die – verdammt! – ihr wirklich gut standen. Wenigstens befand Alex sich ausnahmsweise mal nicht bei ihnen, sondern stand am Fenster und war in ein Gespräch mit seinen Freunden vertieft. Meine Laune, die sowieso schon am Boden zwischen meinen Füßen schleifte, schien fest entschlossen, sich einen Graben zu buddeln.
    Die erste Hälfte des Vormittags war lang wie immer, und ich zerstreuter denn je. In der Pause tigerte ich im Flur auf und ab, Irene im Schlepptau, die über irgendwelchen Unsinn plauderte, um meine Stimmung zu heben. Als wir zwei Minuten vor der Klingel wieder ins Klassenzimmer zurückkehrten, stand auf meiner Bank eine Pralinenschachtel. Mit einer Schleife.
    Irene und ich sahen uns an. Ich nahm die Schachtel in die

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