Die zwei Monde: Roman (German Edition)
Valentinstag keine Schokolade zu essen, wusstest du das nicht?«
Nein, das wusste ich nicht. »Das hast du dir doch ausgedacht.«
Er lächelte wieder. »Stimmt.«
Ich konnte mir ein Stöhnen nicht verkneifen, aber ich lachte dabei, und er lachte mit. Dann wickelten wir beide unsere Pralinen aus.
»Hast du denn heute schon Schokolade gegessen?«, fragte ich ihn.
»Nein. Ich auch nicht.« Er streckte den Arm aus und stieß sanft mit seiner Praline an die meine, als wollte er mit mir anstoßen. »Auf die einsamen Herzen!«
»Gut, auf die einsamen Herzen.« Ich steckte die Praline in den Mund. Sie war gut!
»Wie geht’s deiner Hand? Von der allergischen Reaktion ist nichts mehr zu sehen.«
»Nein, war ganz schnell weg.«
»Umso besser.«
»Ja, stimmt.«
Wir tranken unseren Tee und schwatzten eine Weile, bis mein Blick, eher zufällig, auf die Uhr hinter der Theke fiel. Es war schon Viertel vor sieben! Ich war viel zu spät dran!
Ich sprang hoch. »Meine Güte, ich hab anscheinend jedes Zeitgefühl verloren, ich muss sofort los!«
Auch Ivan erhob sich. »Wann musst du denn zu Hause sein?«
»Um sieben.«
»Wie viele Haltestellen?«
»Acht.«
Er schüttelte den Kopf. »Das schaffst du nie.«
»Ich weiß! …«
Er zögerte einen Moment. »Ich weiß zwar, was du mir antworten wirst, aber ich muss dich trotzdem fragen: Soll ich dich nach Hause bringen? Ich habe den Wagen draußen.«
Ich biss mir heftig auf die Lippe. Ivan war nett, sympathisch, und er schien ein wirklich anständiger Junge zu sein. Aber er war auch ein fast Fremder, den ich heute zum zweiten Mal sah und mit dem ich alles in allem zwei Stunden meines Lebens verbracht hatte. Konnte ich da einfach siebzehn Jahre Warnungen vor »netten Unbekannten« über Bord werfen?
Plötzlich musste ich lachen: Teufel noch mal, gestern Abend hatte ich es mit einer Gruppe von Monstern aufgenommen! Es war unglaublich, aber das schien ich ständig zu vergessen, als wäre es weniger wichtig als alles, was mir in der Schule oder im Schwimmbad passierte.
Du denkst wie ein kleines Mädchen, Veronica: Wenn du niemals Entscheidungen fällst wie eine Erwachsene, dann wirst du auch nie erwachsen.
»Okay, lass uns gehen.«
Er hob die Augenbrauen. »Meinst du das ernst?«
»Aber natürlich! Fährst du schnell?«
Er lächelte mit nur einem Mundwinkel. »Ich bin in Monza geboren.«
Er sagte es, als wäre es ein Witz, aber ich verstand ihn nicht, und er insistierte auch nicht weiter.
Wir traten in den Abend voller Autohupen und brüllenden Motoren hinaus, und ich spürte, wie mir das Herz in die Hose rutschte. »Glaubst du im Ernst, du kannst mich in fünfzehn Minuten heimbringen, trotz des ganzen Chaos?«
»Wo wohnst du denn?«
Ich sagte es ihm.
»Wir schaffen es schon: Ich kenne die Straßen Mailands echt gut.«
Er brachte mich zu seinem Auto, das auf einem engen Parkplatz auf der anderen Straßenseite stand. Ich erkannte es gleich wieder: Es war derselbe metallic-graue Koloss, der ihn am Donnerstag abgeholt hatte. Zu meiner Überraschung ging Ivan nicht gleich zur Fahrertür, sondern öffnete erst die Beifahrertür für mich; ich hatte seine viktorianischen Gewohnheiten ganz vergessen.
»Kein Chauffeur heute Abend?«, fragte ich.
»Nein, mein Vater hatte zu tun.« Dann war das also sein Vater, der beim letzten Mal am Steuer gesessen hatte. »Es ist sein Wagen: Er borgt ihn mir nur selten. Er mag es nicht, wenn jemand anders ihn fährt, nicht einmal, wenn ich das bin.«
Im Inneren schien alles funkelnagelneu: Das schwarze Leder der Sitze war makellos, auf dem Armaturenbrett lag kein Staubkörnchen, sogar die Teppiche waren weich und sauber. Das Einzige, was nicht passte, waren eine Handvoll alter CDs in verstaubten Schutzhüllen, die in dem Hohlraum neben dem Autoradio steckten.
Ivan setzte sich ans Steuer, folgte meinem Blick und lachte. »Ja, das sind meine. Ich langweile mich, wenn ich ohne Musik fahren muss. Du kannst dir sicher denken, dass mein Vater der Ordnungsfanatiker im Haus ist, nicht ich.«
Während er den Motor anließ und aus der Parklücke fuhr, nahm ich einige der CDs in die Hand: Erwartungsgemäß war nichts dabei, was weniger als zwanzig Jahre alt gewesen wäre. Ich fragte mich, ob die CDs selbst auch aus den Achtzigern stammten oder ob sie neueren Datums waren und aus irgendeinem seltsamen Grund nur so alt aussahen.
»Reich mir mal die da.« Er zeigte auf eine der Schutzhüllen; ich gab sie ihm. »Hast du Lust, ein bisschen Musik zu
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