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Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Tarenzi
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unbeweglich stehen, unschlüssig, was ich jetzt tun sollte.
    Regina widmete sich aufmerksam der Betrachtung meiner Handfläche und beugte sich noch tiefer, um besser sehen zu können; dann pustete sie sanft über meine Haut und strich mit der Spitze ihres Daumens darüber, was mir ein leichtes Kitzeln verursachte. Währenddessen glitten die verschiedensten Gefühlsausdrücke über ihr Gesicht: Ehrfurcht, Besorgnis, dann etwas, das Überraschung oder Angst sein konnte, und schließlich, unverwechselbar, Traurigkeit.
    Sie schloss langsam die Hände über der meinen und legte sie mir auf die Brust, als wollte sie mir einen wertvollen Gegenstand zurückgeben, und dann lächelte sie mir von Neuem zu, liebenswürdig, aber ohne Fröhlichkeit, und führte mich durch den dunklen Korridor bis zum Museumssalon. Ich folgte ihr mit einem Gefühl der Befangenheit.
    Drinnen gab es weniger Licht als am Tag zuvor: Die Vorhänge waren zugezogen, und alles war in ein bernsteinfarbenes Halbdunkel getaucht. In der Luft hing der Duft nach Tee.
    Conte Gorani saß am Tisch, zwei aufgeschlagene Bücher vor sich und einen Stift in der Hand, offensichtlich damit beschäftigt, in dem einen zu lesen und in dem anderen Notizen zu machen. Es dauerte einen Moment, bis mir bewusst wurde, dass die Feder, die er zwischen den Fingern hielt, genau das war: eine Feder . Nicht ein Bleistift oder Kugelschreiber, sondern eine Vogelfeder, von weißer Farbe und wenig länger als eine Hand. Auf dem Tisch stand das Tintenfass, in das der Conte die Feder ein paarmal eintauchte und sie dann auf die Seite setzte.
    »Verzeih einen Moment, Veronica. Ich werde gleich bei dir sein.«
    Er schrieb noch eine halbe Minute lang, sehr konzentriert, alle paar Sekunden die Feder in das Tintenfass tauchend. Dann klappte er unvermittelt beide Bücher zu, verschloss die Tinte mit einem winzigen Deckel aus geschliffenem Glas, stand auf und sah mich mit seinem seltsamen, kaum wahrnehmbaren Lächeln an, das mir inzwischen schon vertraut war.
    »Was bin ich nur für ein schlechter Gastgeber, und das schon zum zweiten Mal.« Er stellte die beiden Stühle neben den Teetisch und lud mich mit der für ihn typischen gezierten Geste zum Sitzen ein. »Es war wirklich unhöflich von mir, dich zwischen Tür und Angel stehen zu lassen: Erlaube mir, es wieder gutzumachen, indem ich dir eine Tasse Tee und Gebäck anbiete.«
    Ich zog die Lederjacke aus, stellte den Rucksack auf den Boden und setzte mich, ohne eine Antwort parat zu haben. Die Gegenwart des Conte und seine antiquierte Art zu sprechen hatten eine zugleich verwirrende, aber auch beruhigende Wirkung auf mich.
    Er nahm mir die Jacke ab und hing sie an den Kleiderständer, während ich das Ausführliche Journal aus dem Rucksack zog und auf den Tisch legte.
    Auch der Conte setzte sich und warf einen Blick auf den schmalen Band. »Ich darf wohl annehmen, dass du es gelesen hast.«
    »Ja.«
    »Und dass du hier bist, um mir all die Fragen zu stellen, die dir unter den Nägeln brennen.«
    »Ja.«
    »Ich bin bereit, sie anzuhören und dir zu antworten.«
    Diesmal war ich vorbereitet. Ich hatte die ganze Nacht darüber nachgedacht.
    »Was war die ›wilde Bestie‹?«
    »Ich kann mir vorstellen, dass du dazu bereits eine Theorie hast.«
    Natürlich hatte ich die, aber ich war nicht hergekommen, um mir anstelle von Antworten weitere Rätsel anzuhören. »Sie haben gesagt, Sie würden mir antworten, und damit basta.«
    Der Conte nickte. »Du hast recht.«
    Er erhob sich und ging zu einem der vielen Möbelstücke des Zimmers, eine Art Kredenz mit Schubladen, deren matte Metallgriffe in der Form von bizarren Tierköpfen gearbeitet waren. Er zog eine der Schubladen heraus, kramte in ihrem Inneren und kam mit einem unregelmäßig geformten Gegenstand zurück, den er auf den Tisch legte: Er war etwa dreißig Zentimeter lang und in ein graues Tuch eingewickelt, das mit Lederbändern zugebunden war. Die langen Finger des Conte bewegten sich mit Anmut, als sie nun die Knoten lösten und das Tuch aufschlugen: Es war mir unmöglich, dem Ding, das vor mir lag, einen Namen zu geben. Es sah aus wie ein Stück krüppeliges Holz, war fast von derselben Farbe wie das Tuch und an den Außenseiten mit seltsamen, röhrenförmigen Verzweigungen ausgestattet, die sich um die Mitte herumzuschlängeln schienen.
    »Was ist das?«, fragte ich flüsternd.
    Der Conte ging zu einem der Fenster und zog den Vorhang zur Seite: Ein Strahl bleichen Lichts fiel auf den Tisch

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