Die zwei Monde: Roman (German Edition)
zu tun hätte, ignorierte ihre Proteste und schloss mich in mein Zimmer ein. Ich machte nicht mal Anstalten, ein Buch aufzuschlagen. Stattdessen heulte ich ein gutes Dutzend Taschentücher nass.
Nach ein paar Stunden konnte ich nicht mal mehr heulen, geschweige denn das Kissen mit den Fäusten bearbeiten und mich fragen, was ich Schlimmes angestellt hatte, um all das zu verdienen. Ich beruhigte mich aus purer Erschöpfung.
Ich wusste, dass jetzt nur noch der Versuch helfen konnte, meine Probleme – wenigstens im Kopf – nach Prioritäten zu ordnen, auch wenn mir eigentlich danach war, zu schlafen und nie wieder aufzuwachen. Aber ich konnte nicht.
Also nahm ich ein Blatt und einen Bleistift zur Hand und schrieb Punkt für Punkt all die Dinge auf, die gerade in meinem Leben schiefliefen; ich hatte so etwas noch nie gemacht, aber es wirklich hilfreich.
Punkt eins: Alex behauptete, dass weder die Pralinen noch die SMS von ihm waren. Und tatsächlich war die Schokolade ja nicht mal mit einem Briefchen versehen. Aber für die SMS gab es keine andere Erklärung: Es war zweifellos seine Nummer. Warum stritt er es dann ab? Das machte doch einfach keinen Sinn …
Punkt zwei: das Fest. Wenn ich Alex Glauben schenken sollte, hatte ich erst zu viel getrunken, ihm dann vor allen Leuten eine Szene gemacht, die ich mir gar nicht erst ausmalen wollte, war anschließend davongelaufen und hatte zu guter Letzt auch noch alles vergessen. Alkohol hat aber keine solche Wirkung, jedenfalls nicht ein halbes Bier und zwei Finger Wodka. Es konnte sich also nur um andere Substanzen handeln. Ich hatte genug Filme gesehen, um das zu wissen.
Was auf direktem Wege zu zwei Fragen führte: Wer und warum ?
Eine Stimme in meinem Kopf flüsterte mir zu, dass ich die Antwort auf beide Fragen schon kannte, aber ich weigerte mich, ihr Gehör zu schenken. Es wäre zu diesem Zeitpunkt einfach zu viel gewesen, ich hätte es schlichtweg nicht ertragen. Ich stand vom Bett auf, auf dem ich zusammengekauert gesessen hatte, und fing an, im Zimmer auf und ab zu gehen.
Auf dem Tisch lag noch immer das Faksimile des Ausführlichen Journals mit seinem weißen, unbedruckten Buchumschlag. Wie konnte es sein, dass es so völlig harmlos aussah?
Bei seinem Anblick fiel mir das Absurdeste, das am wenigsten Nachvollziehbare meiner aktuellen Probleme ein. Auch wenn es das Einzige war, das vielleicht einen Hoffnungsschimmer auf eine Lösung enthielt oder wenigstens auf eine Antwort.
Um Punkt vier packte ich meine Schwimmsachen, rief meiner Mutter vom Gang aus zu, dass ich schwimmen ging, und flüchtete schnell nach draußen. Ich hatte keine Lust, mir lästige Fragen anzuhören, wie sich diese Entscheidung mit dem Berg an Lernstoff vertrug, den ich kurz zuvor noch als Entschuldigung für mein verschmähtes Mittagessen angeführt hatte.
Ich nahm wie üblich die Metro, stieg aber nicht an der Haltestelle aus, an der sich das Schwimmbad befand, sondern fuhr zur Piazza Duomo und machte mich noch einmal auf den Weg durch das Straßenlabyrinth, das ich am vorhergehenden Nachmittag durchlaufen hatte. Das Gebäude mit den steingemeißelten Säulen wiederzufinden war leichter, als ich mir vorgestellt hatte.
Ich suchte nach der Klingel, konnte aber keine entdecken.
Wie war das möglich? Ein sechsstöckiges Gebäude im Zentrum von Mailand ohne Klingel und Namensschild?
Während ich noch ratlos auf den grauen Stein der Säulen starrte, ging plötzlich die Tür mit einem Klacken auf, das im Hausflur hinter ihr widerhallte. Ich zögerte einen Moment, dann trat ich ein; der Aufzug aus Glas und Stahl war schon im Erdgeschoss und hatte die Türen weit geöffnet, fast als hätte er mich erwartet.
Als ich oben aus dem Aufzug trat, öffnete sich beinahe zeitgleich zu den Fahrstuhltüren die Wohnungstür des Conte. Auf der Schwelle stand Regina in ihrem Kleidchen aus blauer Baumwolle. Sie lächelte mich an, es schien ein ehrliches Lächeln, als wäre sie wirklich glücklich, mich zu sehen. Dann trat sie zur Seite, um mich mit einer kleinen Verbeugung hereinzulassen.
»Hallo.« Ich wollte gerade an ihr vorbeigehen, hielt aber dann plötzlich inne. »Wir haben uns noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Veronica, freut mich wirklich sehr.«
Ich streckte ihr die Hand hin, und sie starrte sie an. Dann nahm sie sie so vorsichtig zwischen die ihren, als hätte sie Angst vor der Berührung oder mehr noch, als würde sie etwas sehr Wertvolles und Empfindliches berühren.
Ich blieb
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