Die zwei Monde: Roman (German Edition)
vorbei. Denk nicht an Werwölfe, schwarze Männer und Gott weiß, was noch alles: Denk an das, was du sagen musst.
Alex legte seinen Helm auf dem Sitz ab und kramte in seinen Taschen nach dem Schlüssel. Ich trat einen Schritt vor.
»Hallo.«
Sein Kopf schnellte ruckartig hoch: Er hatte mich tatsächlich nicht wahrgenommen. Als er erkannte, wen er vor sich hatte, nahm sein Gesicht einen Ausdruck an, der mir überhaupt nicht gefiel. Es war das Gesicht von jemandem, der lieber woanders gewesen wäre.
»Hallo …«
Ich zwang mich, die Worte nicht alle in einem Atemzug hervorzusprudeln. »Hör mal … Ich wollte dir danken für das Geschenk vom Samstag.«
Er runzelte die Stirn. »Welches Geschenk?«
»Das … Geschenk, das du mir auf die Bank gelegt hast. Die Pralinen. Und die Nachricht mit den Glückwünschen.«
Zwei Sekunden Schweigen.
»Unmöglich. Die musst du von jemand anderem bekommen haben.«
Der Boden unter meinen Füßen begann zu wanken. »Was?«
»Ich … ich hab dir nichts geschickt, am Samstag.«
»Aber die SMS war doch von dir! … Sie kam von deinem Handy.«
Ich kramte in meiner Tasche nach meinem Handy, um ihm die SMS zu zeigen, die ich wohlweislich aufgehoben hatte und über der ganz eindeutig sein Name stand. Aber ich bekam gar nicht die Zeit dazu.
»Hör mal, Veronica.« Er hatte sich mir jetzt ganz zugewandt und sah mich mit ernster Miene an. »Wir haben schon auf Elenas Fest darüber gesprochen. Es tut mir leid, wie die Dinge gelaufen sind, aber wenn du jetzt wieder davon anfängst, dann macht das die Sache nur noch schlimmer, und ich …«
Ich hatte das Gefühl, einen Kübel pures Eis über den Schädel zu bekommen, aber einen Moment später packte mich die Wut.
»Was ist denn auf diesem verdammten Fest bloß passiert?«, platzte ich heraus. »Die Leute in der Schule schauen mich an und lachen, du sprichst kein Wort mehr mit mir, und ich erinnere mich an nichts, an rein gar nichts! …«
Ich bereute sofort, es gesagt zu haben, und wäre am liebsten im Erdboden versunken. Aber es war zu spät.
Er starrte mich mit verkniffenem Mund an. Ich merkte, dass ich die Hände so sehr zu Fäusten geballt hatte, dass sie zitterten, und zwang mich zum Lockerlassen.
»Du bist zu mir gekommen und hast mich zum Tanzen aufgefordert.«
Nein, unmöglich! Mathematisch unmöglich.
»Ich wollte dir einen Gefallen tun und habe mich ehrlich bemüht, aber du hast dich nicht auf den Beinen halten können. Und als ich dir gesagt habe, dass es vielleicht besser wäre, wenn du dich wieder hinsetzt, hast du mir eine Szene gemacht.« Er schwieg einen Moment. »Eine Szene, mit der du mir etwas mitteilen wolltest, glaube ich. Ich fand aber, dass es weder Ort noch Zeit für solche Erklärungen war, dort vor allen Leuten, und da bist du in Tränen ausgebrochen und weggelaufen.«
In dem nachfolgenden Schweigen hörte ich ein Pfeifen in meinen Ohren, in einer Lautstärke, die innerhalb weniger Augenblicke unerträglich wurde. Ich hatte diese Dinge gesagt, diese Dinge getan , in aller Öffentlichkeit. Vor meinen Schulkameraden. Vor Angela. Und dann hatte ich alles vergessen.
Nein. Ich schüttelte den Kopf. Es war einfach unmöglich.
»Ich weiß nicht, wie das passieren konnte«, sagte ich, und meine eigene Stimme schien von außen zu kommen, aus weiter Ferne. Die Stimme eines anderen Menschen.
»Wahrscheinlich hattest du zu viel getrunken.«
Ich fühlte, wie meine Augen brannten. »Nein, das stimmt nicht! Nur ein halbes Bier und diesen Wodka Shot …« Die Worte erstarben mir auf den Lippen.
Es hatte alles mit diesem Shot angefangen. Von dem Moment an, als ich den ersten Schluck genommen hatte, konnte ich mich an nichts mehr erinnern.
Was war in diesem Wodkaglas?
»Es tut mir leid …«
»Können wir ein andermal darüber reden?« In Alex’ Stimme schwang ein panischer Unterton mit. Oder vielleicht auch Ärger. »Und vielleicht nicht auf der Straße?«
»Ja, ja. Entschuldige.«
Entschuldige? War dies der Moment, sich zu entschuldigen? Ich wusste nicht mehr, was noch alles aus meinem Mund kommen würde, und wäre am liebsten im Erdboden versunken.
»Na dann … sieht man sich morgen.« Alex setzte seinen Helm auf und stieg auf den Sattel. Auch er hatte es eilig, zu verschwinden, das war deutlich.
»Ja. Bis morgen. Ciao.«
Ich blieb nicht stehen und sah ihm nach, während er davonfuhr. Diesmal nicht.
Zu Hause verzichtete ich auf das Mittagessen. Ich sagte meiner Mutter, dass ich zu viel für die Schule
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