Die Zwei Schwerter, Band 3: Der Marsch der Zwerge (German Edition)
verloren vorkommen mussten. In diesem Augenblick war zu erahnen, welch viele Jahrhunderte alten Kräfte sich hinter der Fassade des zerstreuten, schäbig gekleideten Männleins verbargen und welche schlimmen Folgen es für denjenigen haben konnte, der seine Geduld und seine Fähigkeiten auf die Probe stellte.
„Arnhelm“, fuhr Lotan der Heiler fort, „befindet sich nicht unter diesen Ashtrogs ebenfalls ein Schamane, der den Namen Tendarr trägt? Wenn dem so ist, bitte ich darum, diesen Ork schnellstmöglich zu mir zu führen, sobald sein Stamm in Pír Cirven eintrifft. Ich denke, ein wenig Unterstützung könnte schließlich nichts schaden.“
„Dies soll geschehen, teurer Freund“, erwiderte der rhodrimische Thronerbe. „Ich selbst will morgen in der Frühe mit einer Reiterabteilung nach Osten aufbrechen, um nach dem Feind Ausschau zu halten und seine Vorhut gegebenenfalls zur Stadt zu bringen, wo Reihen unserer Bogenschützen auf den Zinnen für einen gebührenden Eempfang sorgen werden. Dadoklas soll mich begleiten, er kennt die Ländereien zwischen der Hauptstadt und dem Osttor, von dem wir unsere Truppen längst abgezogen haben, am besten.“ Der Heeresmeister mit dem besonnenen und zugleich klugen Gesichtsausdruck brachte seine dankbare Zustimmung durch ein Nicken zum Ausdruck und ließ Arnhelm fortfahren. „Es ist nicht zu erwarten, dass der Schwarze Gebieter seinen Heerscharen den Angriff bei Tag befehlen wird, da die Ghuls sich bekanntlich vor dem Licht der Sonne fürchten. Andererseits wissen wir noch nicht um alle Ränke unserer Widersacher Bescheid und dürfen uns nicht überraschen lassen. Mein Rat an Falmir lautet daher, unsere Soldaten schon ab dem ersten Hahnenschrei in volle Kampfbereitschaft zu versetzen und jede Stunde mit einer Eröffnung des Schlachtgeschehens zu rechnen.“
Eine kurze Zeit der Stille trat ein. Bereits viele Worte waren an diesem und an den vorangegangenen Abenden gesprochen worden, und alle wussten, dass nun die Zeit gekommen war, die Stimmen schweigen und an deren Statt die Waffen der Krieger erklingen zu lassen.
„Die Entscheidung ist nahe auf die eine oder die andere Weise, das fühle ich wohl, auch wenn ich in Angelegenheiten des Krieges nicht über die Kenntnisse eines Soldaten oder eines Zauberers oder auch nur einer solchen Person verfüge, die dafür mehr Verstand und Interesse aufbringt als ich“, sagte Merian schließlich auf eine weiche, ein wenig mit Schwermut behaftete Art. „Es gab niemals viel Hoffnung für uns, seitdem die Dunkelheit über Arthilien kam und Kummer und Leid mit sich brachte. Dennoch ist es an uns, nicht zu verzagen, und auf Aldus Gnade ebenso zu vertrauen wie auf die Leidenschaft in unseren Herzen, die niemals versiegen soll, solange es in Munda noch Dinge gibt, die zu bewahren wert sind.
Lasst uns damit beschließen für diesen Tag, denn die Nacht ist schon angebrochen und der verbleibenden Stunden bis zum neuen Morgen, von dem niemand weiß, was er mit sich bringen wird, sind nur mehr wenige.“
Nach diesen Worten verabschiedeten sich die Versammelten voneinander und gingen in ihre jeweiligen Gemächer von dannen. Jeder von ihnen wusste derweil, dass der scheidende Tag der letzte in einer Ära des Friedens sein würde, die in der Hauptstadt Lemurias geherrscht hatte für lange Zeit. Jeder Tag nach der Großen Schlacht gegen die Mächte Utgorths, sofern ein solcher jemals anbrechen würde, würde hingegen einer gänzlich anderen Zeitrechnung angehören. Die Menschheit Arthiliens stand damit an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter, und jener Punkt war ein Scheideweg, der sowohl in Gefilde des freudvollen Neubeginns als auch des unwiderruflichen Untergangs zu führen vermochte.
*
Der Tag der Wintersonnwende begann mit einem Morgen wie eine düstere Abenddämmerung. War die Wolkendecke anfänglich so bleich wie die weißen Felder, die sich unter ihr erstreckten und die das wenige Sonnenlicht zurückwarfen, so verfärbte sie sich bald zu immer dunkleren Grautönen. Gewaltige Schatten, stetig zu neuen Gestalten zerfließend, krochen innerhalb und außerhalb der Mauern der lemurischen Hauptstadt umher und wirkten mitunter so lebendig und bedrohlich wie Spione des Feindes.
Kaum, dass der erste Hahnenschrei schrill und klar erschallt war, trat Arnhelm, bereits angekleidet, gegürtet und mit Waffen versehen, auf den Erker, der seinem Gemach als Anbau diente, und ließ seinen Blick nach Norden und Osten schweifen. Die Häuser, Mauern,
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