Die Zweierbeziehung
Wohngemeinschaft ausziehen, da sie überzeugt sei, es handle sich bei der zweiten Ehe um ein neurotisches Arrangement. Nicht wegen ihrer Anwesenheit funktioniere die zweite Ehe schlecht, sondern weil beide Partner ihre frühkindlich begründeten neurotischen Beziehungsstörungen nicht bearbeitet hätten. Mit kaum fassbarem Raffinement verstand sie es aber, unter dem Deckmantel therapeutischer Hilfe und wohlmeinender Ratschläge der zweiten Frau Nadelstiche zu versetzen. Sie war entschlossen, sich zu rächen, dass diese Frau ihre Ehe zerstört hatte. Ich nahm die zweite Frau in unsere Psychotherapieabteilung auf, sodass der Mann und die erste Frau in der Wohngemeinschaft zurückblieben. Schon nach kurzer Zeit nahm der Mann eine Stelle in Deutschland an und trennte sich von beiden Frauen. Der ersten Frau behagte es auch nicht mehr. Sie zog in eine andere Wohngemeinschaft um.
Solche und ähnliche Fälle sind heute keine Seltenheit, besonders bei jungen Leuten, die einer Gruppenideologie nachzuleben versuchen, die Ideale von Freiheit, Solidarität, Offenheit und Gemeinschaft in einer übersteigerten Form zu realisieren versuchen, sodass am Ende alle unglücklich und überfordert sind. Ich versuche in solchen Fällen dem Abgrenzungsprinzip Geltung zu verschaffen, um äußerlich eine gewisse Ordnung herzustellen, die meistens die Situation beruhigt und entspannt.
Außereheliche Beziehungen sind häufig. Im Gegensatz zu früher, wo sie meist verheimlicht wurden, versuchen die Ehepartner heute eher offen darüber zu sprechen. So anerkennenswert die Grundabsicht der Offenheit und Ehrlichkeit ist, so vermischen sich in diese Geständnisse doch oft ungünstige Motivationen. Manche wollen mit dem Geständnis lediglich den Partner provozieren, an ihrer Stelle die außereheliche Gefahr abzuwenden. Solche Geständnisse resultieren aus infantilen Anklammerungsbedürfnissen und Trennungsängsten, wie ich sie in der Eifersuchts-Untreue-Kollusion dargestellt habe. Manche ermuntern den Partner direkt zu «offenen» außerehelichen Beziehungen, weil sie mit dieser toleranten Haltung sich die Sicherheit wahren wollen, die außerehelichen Aktionen des Partners zu kontrollieren. Bei anderen sind die Geständnisse eine Waffe im ehelichen Machtkampf, um den Partner zu erniedrigen, zu verängstigen und in Nachteil zu setzen. Der dauernde Vergleich mit der idealisierten Beziehung zum Geliebten kann auch dazu dienen, sich von der Auseinandersetzung mit dem Ehekonflikt zu dispensieren, da man jetzt ausreichende Trümpfe in den Händen hat, um die Schuld am ehelichen Versagen dem Partner zuzuschieben. Andere wollen vor dem Partner und vor sich selbst damit renommieren, dass sie immer noch begehrenswert und erfolgreich sind. Für viele ist die außereheliche Beziehung auch ein Spiel mit dem Feuer, um die Ehe in Spannung zu halten. Für manche ist sie ein Statussymbol oder ein Attribut einer besonders progressiven Partnerschaft. Oft kommt es zu einer beidseitigen Eskalation, wo jeder den andern überbietet mit detaillierten Berichten über seine sexuellen Abenteuer oder interessanten Gespräche mit andern Partnern. Der andere hört sich das an, ohne sich dabei eine Spur von Eifersucht oder Spannung anmerken zu lassen. In der Therapie kommt dann eventuell zum beiderseitigen Erstaunen heraus, dass im Grunde beide unter den außerehelichen Beziehungen leiden, dass aber keiner gewagt hätte, dem Partner das einzugestehen. Bei beiden bestand eventuell gar nicht so sehr ein echtes Interesse an einer außerehelichen Beziehung, sondern jeder wollte dem andern zeigen, dass er ihm gleichziehen könne und dass er sich von ihm nicht abhängig machen wolle. Oft soll die außereheliche Beziehung vor allzu großer Nähe, vor zu großen gegenseitigen Ansprüchen und Erwartungen schützen.
Wenn es auch zutrifft, dass man die Partnerbeziehung nicht überlasten soll, wenn es auch stimmt, dass die Partner sich nicht in allem alles sein können, wenn es auch Tatsache sein kann, dass Sexualbeziehungen mit einem anderen Partner befriedigender sind oder ein anderer einen in gewissen Problemen besser versteht und berät, so wird es für den Ehepartner trotzdem wichtig sein zu spüren, dass die Gestaltung des ehelichen Sexuallebens ein
gemeinsames Anliegen
bleibt, dass man seine Sorgen mit ihm als
gemeinsame Sorgen
teilt und dass man die Beziehungen zu Freunden und die Gestaltung der Freizeit zwar nicht ausschließlich, aber doch zur Hauptsache als ein gemeinsames
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