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Die Zweierbeziehung

Die Zweierbeziehung

Titel: Die Zweierbeziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Willi
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sie dauernd an ihm herumgenörgelt und ihn in seiner Männlichkeit erniedrigt und kleingehalten hatte.
    Dem Mann ging es bei der Eheschließung sehr um seine männliche Selbstbestätigung. Er fühlte sich von seiner Frau angezogen, weil sie selbstbewusst und aggressionsfrei wirkte und ihm in der Auseinandersetzung mit den Eltern den Rücken stärkte. Unter ihrem Einfluss lernte er sich beruflich zu behaupten. Er war dankbar, in der Frau jemanden zu haben, der ihn akzeptierte und bestätigte. Doch im Laufe der Ehe begann sich die Situation seiner Kindheit immer klarer zu wiederholen. Die Frau nahm das gleiche Nörgelverhalten an, das er früher an seiner Mutter erlebt hatte. Er hörte aus allem, was sie sagte, Kritik heraus, spielte sich gekränkt und trotzig auf und begann sexuell zu versagen. Das Verhältnis zur Geliebten diente ihm schließlich dazu, sich an der Frau für deren erniedrigende Kritik an seiner Person zu rächen und mit seiner Potenz aufzutrumpfen.
    Die Beziehungskrise gründete also zu einem wesentlichen Teil in einer ödipalen Kollusion. Die Frau konstellierte die Dreieckssituation aus Inzestangst und Rache an ihrem untreuen Vater, der Mann aus Trotz gegen die kastrierende Mutter. Bei beiden wurden in der Ehe die Inzestängste reaktiviert. Für beide waren befriedigende sexuelle Beziehungen nur außerhalb der Ehe vollziehbar. Die Abwehr der Inzestgefahr wurde nun in der Ehe in der Weise polarisiert, dass der Mann die Rolle des Untreuen, die Frau diejenige der eifersüchtigen Verfolgerin der Untreue einnahm. Beide Rollen waren interdependent. Je mehr die Frau den Mann erniedrigte, kritisierte und mit Vorwürfen wegen seiner Untreue verfolgte, desto mehr fixierte sie ihn in der Trotzreaktion gegen seine Mutter und ließ ihn seine Bestätigung in der Liebschaft suchen. Je mehr andererseits der Mann sich mit der Geliebten einließ, umso mehr sah sich die Frau in der Rolle der frustrierten Dritten und fühlte sich gedrängt, über den untreuen Mann herzufallen und sich an ihm – an ihres Vaters Stelle – zu rächen. Jeder verhielt sich so, dass er dem andern ein Alibi zur neurotischen Fehlhaltung verschaffte. Der Mann konnte sagen: «Ich suche meine Erfüllung bei einer Geliebten, weil du dauernd an mir herumkritisierst», die Frau: «Ich kritisiere dauernd an dir herum, weil du deine Bestätigung bei einer Geliebten suchst.» Die neurotischen Fehlhaltungen beider Partner bildeten ein regelkreisartig in sich geschlossenes System.
    Der Stellenwert, den die Geliebte in ihrer Beziehung innehatte, wurde den Partnern im Laufe der gemeinsamen Therapie bewusst. Das Schlimmste, was im neurotischen Arrangement zweier Partner passieren kann, ist, dass ein Partner plötzlich in seiner Fehlhaltung nachlässt. Als der Mann in einer Phase der Therapie daran dachte, die Geliebte aufzugeben, verfiel die Frau, die verbal diesen Schritt dauernd gefordert hatte, in einen nächtlichen Panikzustand aus Angst, als Gegenleistung zu sexuellen Beziehungen mit dem Mann verpflichtet zu sein. Sie reagierte mit unstillbarem Erbrechen und heftiger Migräne, was sie in der Form noch nie erlebt hatte. Sie verstärkte sofort wieder ihre misstrauende Verfolgerhaltung und vermochte den Mann damit wieder von seinem Vorhaben abzubringen, die außereheliche Beziehung aufzulösen.
    In einer späteren Therapiephase ließ die Frau von ihrer erniedrigenden Krittelsucht ab und äußerte schüchtern, wie sie den Mann trotz seiner Fehler liebe und wie sie im Grunde Bedürfnisse verspüre, sich an ihn anzulehnen und von ihm gehalten zu werden. Der Mann war selbst erstaunt, dass er nun, wo ihm die Frau endlich das ersehnte Entgegenkommen zeigte, mit Widerständen reagierte aus Angst, die Frau könnte damit auch gerade mit Ansprüchen nach sexuellen Beziehungen kommen, bei denen er versagen würde. Er stellte sich deshalb so linkisch und täppisch an, dass die Frau schon bald wieder in ihre frühere Nörgelei zurückfiel.
    Die Existenz der Geliebten verhinderte, dass das Paar die Inzestangst direkt austragen musste, denn dies konnte jetzt über die Geliebte geschehen. Statt dass die Frau sich mit ihrem schon vorbestehenden Ekel vor ehelichen Beziehungen befassen musste, konnte sie diesen in der Existenz der Geliebten begründen. Statt dass sich der Mann seiner Angst vor sexuellem Versagen zu stellen hatte, konnte er mit seiner außerehelichen Potenz auftrumpfen und seine Frau durch die Geliebte auf Distanz halten. Die Existenz der Geliebten

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