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Die Zweierbeziehung

Die Zweierbeziehung

Titel: Die Zweierbeziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Willi
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seine Werthaltung und wirkt im Voraus strukturierend auf das Behandlungsergebnis. Die Paarbehandlung wird eher die Chance in sich tragen, die Ehepartner einander näherzubringen, als das triadische Setting. Da ich mich bis jetzt nicht überzeugen konnte, dass eine intime Dreierbeziehung für
alle
Beteiligten über längere Zeit befriedigend funktioniert, neige ich eher dazu, bereits mit dem äußeren therapeutischen Setting dem Abgrenzungsprinzip Achtung zu verschaffen. Ich nehme damit bewusst eine Werthaltung ein. Damit werden manche Therapeuten nicht einig gehen, die es als unmoralisch empfinden, die Geliebte aus der Behandlung auszuschließen und sie in diesem Sinne nicht als gleichwertigen Partner zu behandeln.
    Folgende Situation scheint mir jedoch für die heutige Verwirrung recht bezeichnend:
    Beispiel 17: Eine junge Deutsche lebt mit ihrem schweizerischen Ehemann und seiner früheren, von ihm geschiedenen Frau und deren achtjährigem Sohn in einer Wohngemeinschaft. Sie kommt in Behandlung wegen hysterischen Gehstörungen und depressiver Verzweiflung, da sie das Zusammenleben nicht mehr aushält. Sie hatte vor drei Jahren ihren Mann auf einer Geschäftsreise kennengelernt und mit ihm zunächst eine außereheliche Beziehung ohne Wissen seiner damaligen Frau unterhalten. Sie verliebten sich intensiv ineinander, und der Mann versprach ihr, sich von seiner Frau zu scheiden, um sie zu heiraten. So zog die Patientin vor zwei Jahren nach Zürich. Der Mann hatte sich aber nicht wie versprochen bereits geschieden, sondern im Gegenteil, er hatte bisher seine Frau über die außereheliche Beziehung nicht einmal unterrichtet. Unter dem Druck der Patientin gestand er der Frau diese Beziehung, und sie einigten sich, die Ehe zu scheiden. Kurz vor der Scheidung verfiel seine Frau einem depressiven Verzweiflungszustand mit hysterischem Agieren und Zerstörungswut, in der sie Geschirr zusammenschlug, mit Selbstmord drohte und tagelang weinend herumlag. Die Patientin und ihr Mann behielten sie deshalb in ihrer Wohnung und trösteten und pflegten sie gemeinsam. Seine ehemalige Frau, unterdessen geschieden, von Beruf Sozialarbeiterin, hatte aber genügend gruppendynamische Kenntnisse, um zu spüren, dass sie das frischgebackene Ehepaar nur noch stärker zusammenband, wenn sie ihnen durch ihr krankhaftes Gebaren die gemeinsame Aufgabe auferlegte, sie zu trösten und zu pflegen (extradyadische Polarisierung). Sie entschloss sich deshalb, mit dem achtjährigen Knaben auszuziehen und in einer andern Stadt zu wohnen. Nach einem halben Jahr hatte sie sich äußerlich aufgefangen. Sie sah ein, dass sie ihrem Mann gegenüber zu unterwürfig und zu abhängig gewesen war. Da ihr Mann sehr an dem Kind hing, bot sie sich an, zurückzukehren, um mit ihm, seiner zweiten Frau und anderen Freunden in einer Wohngemeinschaft zu leben. Im Gegensatz zu früher verhielt sie sich völlig autonom und selbstsicher, übte aber möglicherweise gerade in dieser Haltung einen besonderen Reiz auf ihren Mann aus, der sich sehr um sie bemühte. Es kam sowohl körperlich wie seelisch erneut zu einer intimen Beziehung zwischen dem Mann und ihr. Die beiden Frauen verhielten sich zueinander wie Freundinnen. Die erste Frau beriet die zweite in ihrem Verhalten dem schwierigen und deutlich neurotischen Mann gegenüber. Sie zeigte volles Verständnis dafür, dass auch die zweite Ehe nicht ohne Schwierigkeiten gehen konnte. Es kam nie zu offenem Streit zwischen den beiden Frauen. Die zweite Frau, die in Zürich keinen anderen Anschluss hatte, litt aber uneingestandenerweise sehr unter der Anwesenheit der ersten Frau. Sie wagte nicht, mit der Forderung an den Mann heranzutreten, sich nun endgültig von der ersten Frau zu trennen, weil dieser unterdessen an phobischen Symptomen erkrankt war und deshalb nicht belastet werden durfte. Als sich die Patientin behandlungsuchend an mich wandte, beabsichtigte ich ein Gespräch mit allen dreien, zu dem der Mann dann aber nicht erschien, da er sich einem offenen Gespräch über die triadischen Spannungen nicht gewachsen fühlte. Ich führte das Gespräch mit den beiden Frauen: auf der einen Seite die junge, an sich hübsche Deutsche, die wie ein Häufchen Elend in sich zusammengesunken und völlig erschöpft dasaß, auf der anderen Seite die geschiedene erste Frau mit strahlendem Gesicht, keck und «aufgestellt». Diese Frau äußerte, sie wolle auf keinen Fall ihren früheren Mann wieder heiraten, werde aber auch nicht aus der

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