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Die Zweierbeziehung

Die Zweierbeziehung

Titel: Die Zweierbeziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Willi
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der Partner einen enttäuscht und ärgert. Der Knabe wird als besonders stark, sportlich, ritterlich, charmant und aufmerksam gelobt, die Tochter als bildhübsch, ein richtiges Weibchen mit Sex-Appeal, mit mütterlicher Wärme und Besorgtheit.
    Das Verhängisvolle an dieser elterlichen Haltung ist, dass sie Tendenzen, die im Kind vorliegen und für seine Entwicklung ohnehin gefährlich sein können, nicht bremst und in die richtigen Bahnen lenkt, sondern aufschaukelt und ausbeutet. R ICHTER beschreibt in «Eltern, Kind und Neurose», wie die Eltern im Kind eine narzisstische Erweiterung ihres Selbst suchen, wie sie das Kind als Substitut von Teilen ihres Selbst sehen wollen. Nach meiner Erfahrung bildet sich darüber hinaus meist zwischen Eltern und Kind eine narzisstische Kollusion, in der auch das Kind aktiv dahin tendiert, den Eltern als Substitut zu dienen. Gerade bei Adoleszenten konnte ich immer wieder beobachten, dass ihre Unfähigkeit, erwachsen und autonom zu werden, wesentlich in der Vorstellung begründet war, für die Eltern unentbehrlich und lebenswichtig zu sein. Diese Vorstellung vermittelt dem Kind ein grandioses Selbstgefühl und dispensiert es von der Auseinandersetzung mit der eigenen Entwicklung. Die Ablösung von den Eltern belastet es nicht nur mit Schuldgefühlen und Angst, sondern auch mit dem Verlust der eigenen Identität, die es in der Übernahme seiner Funktion den Eltern gegenüber gefunden zu haben glaubt.
    Auch die Einbeziehung der Kinder als einseitige Bundesgenossen ist von R ICHTER in «Eltern, Kind und Neurose» eingehend beschrieben worden. Diese Form wirkt sich auf die Kinder oft ebenso verheerend aus. Einer oder beide Elternteile versuchen, das Kind zu ihrem Bundesgenossen zu machen und es gegen den andern einzunehmen. Das Kind wird als Schiedsrichter in den ehelichen Streitigkeiten der Eltern eingesetzt; jeder beansprucht es für sich als Schützenhilfe, als Vorkämpfer in eigener Sache, als Spitzel, Zuträger und Intrigant, ja manche Eltern suchen selbst wie Kinder bei ihren Kindern Trost, Schutz und Hilfe, was die Kinder oft überfordert. Besonders verhängnisvoll ist dieses Intrigenspiel, weil die Bewältigung des Ödipuskomplexes dem Kind in dieser Form fast unmöglich gemacht wird. Wenn die Mutter sich an den Sohn anlehnt, ihm alle Schlechtigkeiten über den Vater erzählt und ihn zur gemeinsamen Rebellion gegen den Vater ermuntert oder wenn der Vater sich bei der Tochter ausweint, ihr über die sexuellen Frustrationen bei der Mutter klagt und sich eventuell dabei zusätzlich an der Tochter vergreift, muss es nicht wundern, wenn die Kinder schwerst traumatisiert und oftmals lebenslang in ihren intimen Beziehungen behindert bleiben.
    Das Kind in der Rolle eines stellvertretenden Konfliktträgers wird vor allem in der Literatur der amerikanischen Familientherapie, aber auch bei R ICHTER als Substitut der negativen Identität oder als Sündenbock eingehend beschrieben und soll hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden. Diese Beziehungskonstellation entspricht einer Kollusion mit extradyadischer Polarisierung, wo sich das Ehepaar oder eventuell die ganze Familie gegen eines der Kinder vereint. Dieses wird damit zum Kristallisationspunkt des familiären Konfliktes, zum Projektionsträger für alles, was die Familie an sich selbst nicht wahrhaben will, zum Schandfleck, Verräter und Apostat, von dem man sich distanziert. Innerlich bleibt die Familie aber ganz auf diesen Projektionsträger fixiert und beschäftigt sich mit all den Skandalen, die er ihr bereitet. Hier genügt es natürlich nicht, das Kind nur in Polarisierung zur ehelichen Dyade zu betrachten, obwohl das ein wichtiger Aspekt bleibt. Der Konflikt sollte vor allem als
Familienkollusion
angesehen werden, an dem jeder, wie in einem Drama, in einer ganz bestimmten Rolle teilhat. Die Beschreibung der Familienkollusion würde aber den Rahmen dieser Darstellung überschreiten.
    Als Kollusionsmedium, Bundesgenosse oder Sündenbock können statt des Kindes auch andere Beziehungspersonen, die Mutter, die Schwiegermutter, die Freunde, ja sogar eine Ideologie eingesetzt werden. Das Kind wird aber in der heutigen Kleinfamilie am ehesten als «Dritter» einbezogen.

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    9.1. Zum Begriff «psychosomatisch»
    Der Begriff «psychosomatisch» ist heute umstritten. Bis vor wenigen Jahren wurde unterschieden in somatische

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