Die Zweierbeziehung
Krankheiten, psychogene Krankheiten und psychosomatische Krankheiten. Als psychosomatisch wurden Krankheiten bezeichnet, bei denen die Wechselwirkungen zwischen psychogenen und somatischen Aspekten der Krankheit im Vordergrund stehen. Im Grunde ist jedoch jede Krankheit psychosomatisch, das heißt, jede Krankheit betrifft den ganzen Menschen, betrifft den Kranken sowohl psychisch wie auch körperlich, was Ursache, Entstehung, Entwicklung und Therapie der Krankheit angeht. Alle Krankheiten bestehen in einem Zusammenwirken von Psyche und Soma.
Psychische und somatische Anteile können allerdings unterschiedlich deutlich hervortreten und sollten als solche beachtet werden, sowohl in der Diagnose wie auch in der Therapie. Unter psychosomatischen Krankheiten verstand man Körperkrankheiten aus seelischer Ursache. So insbesondere gewisse Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre, Asthma bronchiale, Ekzeme, Neurodermitis, Colitis ulcerosa, Migräne, Sexualstörungen, Anorexia nervosa und viele weitere Krankheiten. Heute beachtet man, dass sich unter diesen Diagnosen Fälle nervöser Ursache zwar häufen, dass diese Diagnosen jedoch nicht ausschließlich «psychosomatische» Krankheiten erfassen und nicht alle psychosomatischen Krankheiten diesen Diagnosen zugerechnet werden können.
9.2. Die konfliktneutralisierende Wirkung der psychosomatischen Symptombildung
Eine Krankheit verändert die Beziehungsform des Paares als Ganzes. Die dyadische Beziehung wird auf eine andere Stufe eingestellt, neu kalibriert (W ATZLAWICK , B EAVIN und J ACKSON ). Einesteils werden die Partner durch die Krankheit stärker aneinandergebunden, andernteils aber werden sie gegeneinander besser abgegrenzt. Es tritt eine innere Distanzierung ein, weil man über viele Themen, die einen zuvor gemeinsam beunruhigt haben, gar nicht mehr sprechen kann, da man sich ja nicht mehr belasten will. Alles, was mit der Krankheit nicht in unmittelbarem Zusammenhang steht, wird belanglos. Auf diese Weise gewinnt das Paar Distanz zum kollusiven Konflikt. Zusätzlich kann es zu einer äußeren Trennung durch Hospitalisation, Kuraufenthalte, Bettlägerigkeit und körperliche Behinderung kommen.
Eine weitere Veränderung, welche die Symptombildung oft mit sich bringt, ist die Öffnung des dyadischen Spannungsfeldes gegenüber Drittpersonen. Vorangehend war das Paar oftmals ganz auf die Kollusion fixiert und verarmte in seinen Außenbeziehungen. Durch die Krankheit wird die Isolation aufgebrochen und eine intensive, krankheitsbestimmte Außenweltbeziehung aufgenommen. Sofern sich der Arzt als zugänglich erweist, wird ihm der Ehekonflikt zunächst in verschleierter, später meist aber auch in offener Form mitgeteilt. Die Krankheit ist ein Appell an die Umgebung, dem in der Kollusion gefangenen Paar zu helfen.
Beispiel 24: Eine 39-jährige Hausfrau, Mutter eines achtjährigen Sohnes, kam in Behandlung wegen schwerer Herzneurose, an der sie seit einem halben Jahr litt. Ihr Ehemann ist ein Büroangestellter, ein echter Beamtentyp, pedantisch, korrekt, beflissen und formalistisch. Die Patientin heiratete diesen Mann, nachdem sie in erster Ehe von einem triebhaften Kriminellen ausgenützt worden war. Für ihre zweite Ehe wollte sie lieber auf Abenteuerlichkeit und ausgelassene Fröhlichkeit verzichten und an der Seite ihres engstirnigen Mannes ein gesichertes und solides Bürgerleben führen. Da sie eine attraktive und im Grunde lebenslustige Frau war, fiel es ihr schwer, ihre sexuellen Phantasien im Zaume zu halten, Anlässlich einer Klassenzusammenkunft traf sie ihren Jugendfreund, einen rassigen Sportsmann mit schnellem Wagen, von dem sie seit jeher fasziniert gewesen war. In zeitlichem Zusammenhang damit trat ihre erste angstneurotische Krise auf: rascher Puls, Erstickungsangst, Angst vor Herzinfarkt, Herzstechen gepaart mit Platzangst. Die Patientin war in der Folge kaum mehr in der Lage, das Haus ohne Begleitung ihres Mannes zu verlassen. Meist musste dieser sogar für sie die Einkäufe tätigen. Der Mann übernahm diese Aufgabe, ohne zu murren. Er sprach der Patientin energisch zu, man müsse sich eben zusammenreißen, man dürfe nicht alles so schwernehmen usw.
Die Patientin kam in stationäre Psychotherapie. Im Laufe der analytisch gerichteten Einzeltherapie gab sie allmählich unter schwersten Ängsten und Widerständen sexuelle Phantasien zu, von denen sie sich bedroht fühlte. Im Interesse der Therapie begann sie eine Halbtagsarbeit, was dem Ehemann allerdings
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