Die Zweierbeziehung
wenig passte. Er hatte seit je zu Eifersucht geneigt. Er beanspruchte die Patientin ganz für sich und schien in ihr vor allem eine Mutter zu suchen. Er fühlte sich auch gegenüber dem achtjährigen Knaben immer hintangesetzt. Bei der Entlassung nach dreimonatiger Therapie waren ihre angstneurotischen Symptome in den Hintergrund getreten. Die Patientin war wieder in der Lage, allein überall hinzugehen und sich durch ihre gelegentlich noch auftretenden Ängste nicht in ihren Aktionen beeinträchtigen zu lassen. Dafür kam es nach der Entlassung zu erheblichen Spannungen in der zuvor problemlos scheinenden Ehe. Die Patientin wollte sich die gewonnene Autonomie vom Mann nicht mehr nehmen lassen.
Er aber reagierte darauf mit Angst und Eifersucht. Einmal rückte der Mann zu einer gemeinsamen Besprechung mit der Frau bei mir an, in der Hand das Schweizerische Zivilgesetzbuch, wo er mit dem Artikel 160 schwarz auf weiß nachweisen konnte, dass er von Gesetzes wegen das Haupt der Familie sei, während die Frau dem Mann mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und ihn in seiner Sorge für die Gemeinschaft nach Kräften zu unterstützen habe. In formalistischer Manier versuchte er, das bedrohte Patriarchat zu retten. An einem Sonntagnachmittag stand er plötzlich vor meiner Haustüre Hilfe suchend auf meinen Rat wartend, da seine Frau trotzig auf einem Bänklein im Walde hocke, kein Wort von sich gebe und sich weigere, ihm nach Hause zu folgen. Vorangegangen war, dass er, um zu Hause Ordnung herzustellen, in ihrer Abwesenheit verschiedene persönliche Effekten der Frau in den Kehricht geworfen hatte. Der Mann hoffte nun, von mir die Einweisung in eine psychiatrische Klinik zu erwirken, da man ja eine derartige Frau für irre erklären müsse.
Trotz der vermehrten Streitigkeiten ging es der Frau gesundheitlich immer besser. Sie konnte auf die Fortsetzung einer ambulanten Nachbehandlung allmählich verzichten. Sie schrieb mir dann nur noch alle Jahre zum Jahreswechsel kleine Briefchen, die nachfolgend zitiert seien, weil sie deutlich zeigen, wie die Frau im Ehekonflikt zunächst ihre Mutter als Bundesgenossin benutzt und die Spannung sich offensichtlich ins Unerträgliche steigert. Im zweiten Brief aber scheint sich die Situation durch eine jetzt beim Mann aufgetretene psychosomatische Erkrankung äußerlich beruhigt zu haben. Die Beziehung ist jetzt eingeengt auf eine Welt der Krankheiten.
Vor einem Jahr, als ihre Beziehung zum Mann maximal gespannt war, schrieb sie: «Mein Sohn Dieter musste mir ein mit Schreibmaschine geschriebenes Kärtchen von ihm [dem Mann] überbringen. Nächsten Freitag müsse ich zu Ihnen kommen, sonst würden zwingende Maßnahmen ergriffen. Es war also noch nicht genug Blitz und Donner niedergegangen. Er ist noch nervös und trotzig, jedoch geschlagen. Hören Sie nun. Ich telefonierte meiner Mutter wohl oder übel, und mit dem hat er nicht gerechnet. Sie verlangte ihn ans Telefon und wusch ihm so richtig die Kappe. Das wirkte. Er glaubt immer, über mich verfügen zu können. Bald sind wir ein Jahr hier, ein hartes Jahr, und der Kampf geht weiter, ich weiß es. Heute durfte mir mein Mann noch sagen, er gebe mir hier ein Zimmer, also das Wohnrecht. Dabei habe ich so viel wie er, wenn nicht noch mehr als er an dieses Haus beigesteuert … Dazu trinkt er noch gern Alkohol, was ihm gar nicht guttut, denn er ist sonst schon so brausig und draufgängerisch, herrschsüchtig und befehlerisch. Ich werde nicht mehr so anständig sein und zu allem ‹Ja› sagen, sondern mich auch wehren. Vor nichts werde ich zurückschrecken und meine Leute mobilisieren. Er hält mir öfters vor, dass ich nicht vergebens in der ‹Psychiatrischen› gewesen sei und ich gehöre in eine solche Anstalt. Man sehe mir an, dass ich schwerkrank gewesen sei …»
Ein Jahr später folgt ein weiterer, wesentlich kürzerer Bericht: «So haben wir bald wieder ein Jahr geschafft. Neues Jahr, zeig dein Gesicht! Ende November wurde mein Mann operiert, nachdem er eine Gallensteinkolik hatte. Er musste schon lange vorsichtig sein mit dem Essen. Nun weilt er zur Erholung in den Bergen. In den Beinen ist er noch etwas schwach, wir hoffen sehr, dass alles gut kommt. Dieter [der Sohn] hatte eine starke Grippe, mit Husten und einer bösen Zehe, die der Arzt schneiden und nähen musste. Langweilig wird es mir also nie.»
Die Situation scheint sich beruhigt zu haben dank der Erkrankung des Mannes.
Häufig wird der Sinn der Symptombildung am
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