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Die Zweierbeziehung

Die Zweierbeziehung

Titel: Die Zweierbeziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Willi
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weiterhin, die Frau als kleines Dummerchen und unzurechnungsfähige Kranke zu behandeln. Es kam zum Machtkampf zwischen den beiden. Nach der Entlassung ging es der Patientin bezüglich Symptomatik so gut wie seit Krankheitsbeginn nie mehr. Sie war wieder in der Lage, sich frei in der Stadt zu bewegen, und nahm eine Halbtagsarbeit an. Die eheliche Spannung steigerte sich ins Unerträgliche. Beide Partner waren voller Angst, dem anderen zu unterliegen, und suchten nach immer neuen Methoden, um den anderen unterzukriegen. Vor allem dem Mann ging es zusehends schlechter. Er nahm 10 kg an Gewicht ab, war zeitweise kaum mehr arbeitsfähig, sah blass und geschwächt aus, verlor seine Stelle und musste sich mit einem bescheideneren Posten zufriedengeben. Er äußerte in einer der seltenen ruhigen Minuten der Frau gegenüber: «Jetzt brauchst du mich wohl bald nicht mehr, jetzt bist du ja gesund.» Der Mann missgönnte ihr das Geld, das sie verdiente und das ihr eine gewisse Autonomie ihm gegenüber erlaubte. Einmal wandte er sich notfallmäßig an mich, seine Frau drehe durch, man müsse sie doch psychiatrisch hospitalisieren. Der Mann wurde der Frau gegenüber eifersüchtig und kontrollierte und überwachte sie. Die Berufstätigkeit gab der Frau Selbstbewusstsein, sodass sie die Angst vor einer Trennung schrittweise verlor. Da die Patientin dauernd außereheliche Beziehungen unterhielt, reichte der Mann schließlich die Scheidung ein. Im Scheidungsprozess entstand ein langes Hin und Her mit zeitweiligem Getrenntleben, abwechselnd mit Wiederaufnahme des Zusammenlebens. Schließlich war die Frau in der Lage, den Scheidungsprozess in geordneter Manier durchzuführen und all die Angelegenheiten der Trennung mit dem Mann vernünftig zu regeln. Sie hatte es aufgegeben, den Mann weiterhin zu provozieren, und kümmerte sich nach der Scheidung freundschaftlich um ihn.
    In der Therapie wird es ein Anliegen sein, das Paar anzuhalten, den Konflikt in direkter Form auszutragen und nicht den Umweg über die Krankheit zu benützen. In dem Maße, wie das Krankheitssymptom verschwindet, erhöht sich dann oft die eheliche Spannung, sodass sich manches Paar nach dem Zustand zurücksehnen mag, wo eines von beiden krank und damit die Beziehung ruhiger und kontrollierter war. Nicht selten kommt es zu einem Umkippen der Rollenverteilung: War zuerst der eine in der Rolle des Kranken, so fällt nach dessen Behandlung der andere in eine Krankheit.

9.3. Die psychosomatische Krankheit als gemeinsames Abwehrsyndrom
    Nach psychoanalytischer Lehre geht es bei der psychosomatischen Symptombildung etwas vereinfacht gesagt um folgenden Prozess:
    Wenn libidinöse oder aggressive Strebungen nicht direkt auf einen Partner bezogen geäußert werden können, so müssen sie verdrängt werden. Das Individuum gibt es auf, diese Affekte direkt auf eine Beziehungsperson zu richten, um darin Befriedigung zu suchen. In einer ersten Phase von Abwehr sucht das Individuum in Ersatzphantasien auszuweichen, in denen es die erstrebte Beziehung vergegenwärtigen und so erlebnismäßig austragen kann. Genügt diese Verdrängungsmaßnahme zur Bewältigung der affektiven Spannung nicht, so erfolgt jetzt in einer zweiten Phase die Verschiebung in die Dynamik körperlicher Abwehrvorgänge. In dieser zweiten Phase kommt es zur psychosomatischen Symptombildung. Das Individuum gibt seine manifeste Anspruchshaltung gegenüber der Beziehungsperson auf und verhält sich äußerlich gesehen völlig angepasst und normal. Die affektive Spannung wird jetzt im körperlichen Symptom ausgetragen. Damit ist das Individuum aus dem zuvor bestehenden Konflikt befreit, hat sich aber mit der körperlichen Krankheit im Sinne eines Erinnerungssymboles belastet. Auch muss es einen erheblichen Teil seiner psychischen Energie für die Aufrechterhaltung dieser Symptombildung aufwenden, was zu einer Verarmung seines Interessenbereiches führt.
    Nach MITSCHERLICH (1967) kommt ein Affekt, soweit er bewusst zugelassen werden kann, zur Entspannung, indem er sich auf ein Objekt, das heißt auf eine Beziehungsperson richtet. Ich und Objekt erleben sich dabei sinnvoll miteinander in Kontakt. In der Verdrängung werden nun nicht nur der Affekt und die mit ihm verbundenen Vorstellungen daran gehindert, ins Bewusstsein einzutreten. Psychosozial bedeutet Verdrängung die Verhinderung, dass der Affekt direkt mit einem Objekt in Kontakt kommen kann, dass er sich mit einem Objekt verknüpft. So bleibt dieser Affekt im

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