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Die Zweierbeziehung

Die Zweierbeziehung

Titel: Die Zweierbeziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Willi
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Helfer der ganzen Gruppe an. Einesteils betonte er, dass er von der Frau Selbständigkeit erwarte, andernteils nahm er ihr das Wort immer gleich ab, wenn sie mal Anstalten machte, sich zu äußern. Immer deutlicher wurde spürbar, dass er sie gar nicht aufkommen lassen wollte, ja, dass ihre Beziehung überhaupt nur auf der Ebene Therapeut – Patient funktionierte. Der Mann fühlte sich in seinem Element, wenn die Frau sich hilfesuchend an ihn wandte und er im tiefgründigen Gespräch sich als Retter anbieten und bestätigen konnte. Zu Recht spürte die Frau, dass, wenn sie tatsächlich selbständiger würde, ihre Ehebeziehung gefährdet würde. Im Laufe der Behandlung wurde sie dann etwas aggressionsfreier und autonomer, worauf der Mann in eine schwere Depression verfiel und zunehmend gespannt und gereizt wurde. Er fühlte sich aus seinen Mutterfunktionen dem Kind gegenüber herausgedrängt und fürchtete sich vor einer ihm ebenbürtig werdenden Frau. Aber auch die Frau hatte Angst, in der eigenen Autonomie tyrannisch wie ihre Mutter zu werden. Effektiv tyrannisierte sie jedoch den Mann schon längst mit ihren Szenen von Schwäche und Hilflosigkeit. Allmählich gewannen beide Einsicht in ihre Fehlhaltungen und konnten diese weitgehend abbauen. Es wurde ein zweites Kind nachgeboren, dem gegenüber die Frau von Anfang an die Mutterfunktionen erfüllte. Der Mann konnte seine Frau als reifer und autonomer akzeptieren, ohne dass deswegen die Basis ihrer Beziehung zerstört worden wäre.
    Beispiel 6: Ein Landarzt ist verheiratet mit einer früheren Krankenschwester, die einige Jahre älter ist als er. Er ist verzweifelt über seine Ehe. Er fühlt sich von seiner Frau frustriert, insbesondere auch in sexueller Hinsicht, vermag sich aber nicht von ihr zu lösen. In seiner gutgehenden Praxis ist er ein ausgezeichneter Arzt, der sich auch um die psychologischen Probleme seiner Patienten kümmert und väterlich für sie sorgt. Zu Hause aber, stellt er selbst fest, verhalte er sich wie ein bedürftiges Kind, erwarte von seiner Frau zärtliche Zuwendung, Umsorgung, Wärme und Liebe. Seine Frau sei ihm gegenüber aber reserviert und abweisend.
    Sie hatten sich schon in Jugendjahren kennengelernt und früh geheiratet. Er neigte seit je dazu, auf seine Frau ein Idealbild zu projizieren und in ihr den Inbegriff von fraulicher Zärtlichkeit, Klugheit und mütterlicher Opferbereitschaft zu sehen. Seine Frau identifizierte sich offensichtlich selbst mit diesem Idealbild. Im Grunde war sie eher selbstunsicher. Beide aber sahen in ihrer Beziehung etwas völlig Einmaliges und Ideales und waren überzeugt, dass für ihr Leben nur diese Ehe zähle und alles andere daneben bedeutungslos bleiben müsse. Es kam zu drei Geburten, die allesamt schwer verliefen, das letzte, jetzt 5-jährige Kind weist schwere Missbildungen auf und ist vollkommen von Pflege abhängig. Die Frau hat sich nun diesem Kind mit großer Intensität zugewandt. Das Kind beansprucht all ihre Kräfte, darf nie allein gelassen werden und erhält von ihr ein Übermaß an pflegerischer Zuwendung. Der Mann negiert irgendwelche Eifersucht auf dieses Kind, idealisiert den pflegerischen Einsatz seiner Frau und sieht in ihr fast eine Heilige.
    Die sexuellen Beziehungen waren von Anfang an erschwert, vordergründig durch die Abwehrhaltung der Frau. Der Mann fühlte sich dadurch gekränkt und persönlich zurückgewiesen. Schließlich wurde die Ehe erschüttert, als er vor einem Jahr eine außereheliche Beziehung zu einer ihn mütterlich fördernden Frau einging. Diese außereheliche Beziehung bewirkte, dass die Ehepartner erstmals offen miteinander sprachen, wobei es auch vorübergehend zu einer Verbesserung ihrer sexuellen Beziehungen kam. Der Mann war plötzlich wieder verliebt in seine Frau und fühlte sich während einiger Monate in einem traumartigen Glückszustand. Dann aber erwiesen sich die Erwartungen des Mannes doch wieder als Illusionen. Er verfiel in einen depressiven Zustand, seine Frau fühlte sich ebenfalls unglücklich.
    Der Mann ist in ländlicher Gegend aufgewachsen, wo seine Eltern ein Geschäft führten. Seine Mutter sei eine Frau von Format gewesen, interessant, unerschrocken, aber von allen Leuten gefürchtet. In ihren Gefühlen war sie nüchtern, kühl und puritanisch. Der Vater litt unter ihr, da er von eher lebensfreudiger Wesensart war. Der Mann litt als Kind unter der Zurücksetzung gegenüber seinem älteren Bruder, der von der Mutter bevorzugt wurde und

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