Die Zweierbeziehung
Machtkampf vor allem am Sauberkeitstraining. Die Sauberkeitserwartung ist die erste Leistungsanforderung an das Kind, die erste Erwartung zur Pflichterfüllung, bei der das Kind ein echter Partner ist, das heißt selbst entscheidet, ob es die Mutter erfreuen oder ärgern will. Die Mutter wird versuchen, das Kind mit Lob und Tadel zur Erfüllung ihrer Erwartungen zu manipulieren. Ist die Mutter selbst noch in der Autonomie-Heteronomie-Problematik verhaftet, so belastet es sie besonders, sich mit ihren erzieherischen Erwartungen in einen Gegensatz zum kindlichen Willen stellen zu müssen; sie spürt in sich den Zwiespalt zwischen dem Wunsch, passiv dem Willen des Kindes nachzugeben, und der Anforderung, es aktiv zu führen. Wenn die Mutter Angst hat, vom Kind unterworfen zu werden, wird sie sich autoritär verhalten und versuchen, den Willen des Kindes zu brechen und es auf Gehorsam aus Prinzip zu dressieren. Sie wird sich strikte jeden Widerspruch verbieten, weil sie sich einer flexiblen Auseinandersetzung mit dem Kind nicht gewachsen fühlen würde. Dem Kind wird so schon früh signalisiert, dass Auseinandersetzungen nicht auf verbaler Ebene ausgetragen werden können. Das Kind wird auf gewisse Streittechniken konditioniert, die für die spätere Ehebeziehung von Bedeutung sein werden: Es lernt, dass es in einer Beziehung darum geht, wer der Stärkere ist und wer die Macht hat. Wer nicht unterworfen werden will, muss sich den anderen unterwerfen. Man kann mit scheinbarer Gefügigkeit sich den anderen unterwerfen durch Schmeicheln, Passivität, Trotz, Sich-Ausschweigen und Lügen. Man kann den anderen zur Verzweiflung bringen durch Blödelei, Fahrigkeit, Pseudodebilität, Tollpatschigkeit, Trödeln oder Einkoten. Es entwickelt sich zwischen Mutter und Kind ein Interaktionszirkel. Die Mutter denkt: Ich bin nur so autoritär, weil das Kind so trotzig ist. Das Kind: Ich bin nur so trotzig, weil die Mutter so autoritär ist.
Die Mutter kann von der Konfrontation mit dem Kind zurückschrecken aus Angst, es mit ihm zu verderben und es zu verlieren. Diese Gefahr ist natürlich besonders groß in Situationen, in denen die Mutter in ihrer Beziehung zum Kind real bedroht ist, zum Beispiel in der Scheidungssituation. Eine solche Mutter wird dazu neigen, dem Kind in allem nachzugeben und es nur indirekt, etwa durch Verängstigung, an sich zu binden. Sie wird es vor allen Gefahren bewahren wollen, und zwar mit dem unbewussten Ziel, zu verhindern, dass es selbständig werden und sich von ihr ablösen könnte. Auf jeden Autonomieversuch wird sie mit Kränkung reagieren, da sie die symbiotische Beziehung zum Kind um jeden Preis aufrechterhalten will. Auch hier spielen sich Mutter und Kind auf einen Interaktionszirkel ein. Die Mutter denkt etwa: «Ich bin nur so vorwurfsvoll, weil das Kind so aggressiv ist», das Kind: «Ich bin nur so aggressiv, weil die Mutter so vorwurfsvoll ist.»
Das Kind wird dazu neigen, solche Streitformen mit dem späteren Ehepartner zu wiederholen.
Die anale Beziehungsstörung
Für den analen Charakter ist also die Ambivalenz folgender Gegensatzpaarungen maßgeblich:
Aktivität steht gegen Passivität Aktivität, Passivität
Autonomie (Selbständigkeit) gegen Heteronomie (Abhängigkeit)
Eigensinn gegen unverpflichtete Nachgiebigkeit
Herrschen gegen Gefügigkeit
Sadismus gegen Masochismus
Sparsamkeit gegen Verschwendung
Ordnungsliebe und Pedanterie gegen Nachlässigkeit
Sauberkeit gegen Beschmutzungslust
Die zu diesen Gegensatzpaarungen gehörigen Phantasien schließen sich bei ein und derselben Person keineswegs aus, auch wenn sich im sozialen Verhalten nur die eine Seite zeigt. So finden wir zum Beispiel nicht selten sadistische Phantasien bei Leuten, die sich Autoritäten gegenüber besonders unterwürfig verhalten.
Das soziale Verhalten lässt sich vordergründig häufig von der Gegensatzpaarung Aktivität – Passivität ableiten, doch finden sich viele Mischformen bezüglich Autonomie, Macht, Besitz und Ordnung.
Die aktiven Herrscher
Bei den aktiven Formen analen Charakters, den Herrschsüchtigen und Sadisten wird leicht übersehen, wie sehr diese Charakterform eine Abwehrbildung gegen Ängste vor Beherrschtwerden und Unterlegenheit sind. Es wird versucht, die eigenen Abhängigkeitswünsche zu sublimieren, indem man andere von sich abhängig macht. Man glaubt, selbst Autonomie entfalten zu können, soweit die gegenseitige Abhängigkeit vom Partner her gesichert wird.
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