Die Zweierbeziehung
der in der Familie als Genie galt. Zeitlebens hatte der Mann das Gefühl, zu wenig Mutterliebe bekommen zu haben, und es ist ihm auch bewusst, dass er in seiner Ehefrau auf einen Mutterersatz gehofft hatte.
Im Gespräch mit dem Paar fällt schon rein äußerlich auf, dass die Frau älter als der noch etwas kindlich aussehende Mann wirkt. Sie ist hager, ausgezehrt und schon etwas verblüht. Im Gespräch verhält sie sich zunächst reserviert, wird aber dann bald wärmer und zugänglicher, worauf die jahrelang aufgestauten Gefühle gegenüber ihrem Mann hervorbrechen. Sie fühlt sich in jeder Hinsicht als Versager. Sie hatte gehofft, den Erwartungen des Mannes zu genügen, und merkt, dass sie einfach nicht in der Lage war, ihm mehr Liebe zu geben. Wenn sie seine Ansprüche spüre, ziehe sich in ihr alles zusammen und sie verstecke sich im Schneckenhaus. Auch das Sexuelle erlebt sie lediglich als einen Vorgang, bei dem sie dem Mann etwas schenken sollte. Zu ihren eigenen Bedürfnissen und Wünschen hat sie keine Beziehung. Sie lebt rein auf den Mann bezogen als jemand, der dessen Idealerwartungen befriedigen sollte. Vordergründig ist die Beziehung polarisiert in den Mann als Pflegebedürftigen und die Frau als Mutter. Doch die hintergründigen Gleichartigkeiten ihrer Positionen werden bereits im ersten Paargespräch deutlich. Beide sehen die Ehe, insbesondere auch die sexuellen Beziehungen, nur in der Dimension von Geben und Nehmen. Beide waren allzu stark auf die Ehebeziehung als einzige wesentliche Beziehung ihres Lebens ausgerichtet und hatten die Ehe durch Idealerwartungen überlastet.
Zusammenfassende Aspekte der oralen Kollusion
Beide Partner sind sich einig, der eigentliche Sinn der Liebe sei, einander pflegerisch zu umsorgen.
Der gemeinsame Widerstand des Paares richtet sich dagegen, die Vorstellung infrage stellen zu lassen, dass Pflegefunktionen in ihrer Liebesbeziehung einseitig verteilt sein sollten. Beide sind sich darin einig, dass dem «Pflegling» keine Pflegeaufgaben abgefordert werden könnten. Ihre Idealvorstellung bleibt, dass es in der Therapie darum ginge, die Bemühungen des «Pflegers» effizienter zu machen durch Erhöhung seiner pflegerischen Kapazität und durch Verbesserung der Auswirkungen auf den «Pflegling». Neu und zunächst angsterregend ist ihnen aber die Vorstellung, dass der «Pflegling» nun mal selbst Pflegeaufgaben dem «Pfleger» gegenüber ausüben sollte.
5.5. Liebe als sicherheitspendende Abhängigkeit Sicherheitspendende Abhängigkeit ( anal-sadistische Kollusion Anal-sadistische Kollusion )
Das 1975 als anal-sadistische Kollusion bezeichnete Zusammenspiel der Partner war wohl die häufigste Form von Ehekonflikten in unserer Kultur, genauso wie der anale Charakter die häufigste Charakterstruktur unserer Mittel- und Oberschicht war. Eigenschaften wie Pünktlichkeit, Fleiß, Sauberkeit, Korrektheit, Sparsamkeit und Ordnungsliebe sind Qualitäten, die auf dem Tugendweg der Leistungsgesellschaft in besonderer Weise prämiert werden. Unter der Jugend scheint sich allerdings eine Wandlung in Richtung oral-narzisstischen Charakters anzubahnen, der den Forderungen der Konsumgesellschaft in besonderer Weise entgegenkommt.
Bei der anal-sadistischen Kollusion geht es vor allem um das Problem, in welchem Ausmaß autonome Bestrebungen der Partner zugelassen werden dürfen, ohne dass die Beziehung auseinanderfällt, und durch welche Führungs- und Kontrollmaßnahmen die gegenseitige Abhängigkeit und Sicherheit in der Partnerschaft gewährleistet werden muss.
Vorangestellt sei die Beschreibung der anal-sadistischen Entwicklungsphase des Kindes, die etwa das zweite bis vierte Lebensjahr umfasst, mit der typischen Form der Eltern-Kind-Kollusion, die den Boden für spätere anal-sadistische Charakterbildungen und Kollusionen in der Ehe legt. Es folgt die Beschreibung des ehelichen Machtkampfes, der sado-masochistischen Partnerbeziehung und des Eifersuchts-Untreue-Spiels.
Die anal-sadistische Entwicklungsphase
Nach psychoanalytischer Entwicklungspsychologie kommt es etwa im Alter von 1 bis 3 Jahren zur Entfaltung autonomer Ich-Funktionen, die für das Sozialverhalten von großer Bedeutung sind. In dieser Phase reift die Willkürmotorik, das Kind wird fähig, sich frei und autonom zu bewegen, die Umwelt zu erobern und von ihr Besitz zu ergreifen. Charakteristisch für diesen Entwicklungsschritt ist die Situation, wo das Kind der Mutter davonläuft, dabei vor Vergnügen
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