Die Zweierbeziehung
idealisierten Mutterbild, das der «Pflegling» auf sie projiziert und das sich mit ihren eigenen Idealen deckt. Dank der Aufgabe, die sie am «Pflegling» erfüllt, hofft sie sich ja aus eigener Mutterabhängigkeit zu lösen. Die Aufrechterhaltung dieser Position ist aber aus verschiedenen Gründen gefährdet: Weil die Identifikation mit der Mutterrolle eine Abwehrbildung ist gegen die Gefahr, dem Partner gegenüber selbst in Mutterabhängigkeit zu geraten, fühlt sich die «Mutter» immer von der eigenen Regression auf die Pfleglingsposition gefährdet. Partnerschaftlich muss sie sich vor dieser Gefahr damit schützen, dass sie den «Pflegling» immer klein und regressiv halten muss, um weder äußerlich noch innerlich diesen Regressionswünschen nachgeben zu können. Die «Mutter» wird also dem «Pflegling» immer in einer Weise helfen, die diesen noch hilfebedürftiger macht. Da der «Pflegling» darauf mit Kränkung und Angst vor Abhängigkeit und Frustration reagiert, fordert er zwar immer mehr Pflegeleistungen von der «Mutter», ohne ihr jedoch den notwendigen Dank dafür zu zollen. Der Dank wäre aber die orale Entschädigung für ihren Verzicht auf direkte orale Bedürfnisbefriedigung. Bleibt der Dank aus, so entfällt die Gratifikation, die die Abwehrbildung gegen die eigenen oralen Wünsche vermittelte. Es fällt nun der «Mutter» doppelt schwer, dem «Pflegling» das zu geben, was sie sich selbst versagt. Sie empfindet Neid und Eifersucht auf alles, was der «Pflegling» bekommt. Es kommt zu Klagen und Vorwürfen, was alles sie ihm zuliebe auf sich genommen und geopfert habe, ohne von ihm je Dank zu erhalten. Sie weist die Ansprüche vom «Pflegling» jetzt auch schroff ab oder verhält sich bei Hilfeleistungen so ungeschickt, dass der «Pflegling» keine Befriedigung dabei erfahren kann. Damit ist die idealisierte Mutter für diesen zur schlechten Mutter geworden, was nicht nur ihn enttäuscht, sondern ebenso die «Mutter» mit Schuldgefühlen und Kränkung erfüllt.
Die «Mutter» ist in ihrem Anspruch auf Lob und Anerkennung ebenso gierig und verschlingend wie der «Pflegling» in seinen direkten oralen Ansprüchen. Aus ihrer Befürchtung, die Sublimierung der oralen Bedürfnisse nicht durchzuhalten, stellt sie immer maßlosere Ansprüche an Dankbarkeit, bis der erwartete Undank sich einstellt, womit sie sich zur Abweisung der oralen Ansprüche des Partners berechtigt fühlt.
Auch der «Mutter» gegenüber kann der «Pflegling» im Grunde gar nicht anders als scheitern. Das ganze ursprünglich so verheißungsvolle Abwehrarrangement scheitert daran, dass aus dem individuellen Hintergrund bei jedem Partner ausgerechnet dasjenige Verhalten resultiert, das, statt wie zu Beginn die Abwehr zu sichern, diese gerade untergräbt. Das Einzige, was die «Mutter» nicht tun «dürfte», wäre, dem Partner hilfreiche Zuwendung zu versagen. Das Einzige, was der «Pflegling» nicht tun «dürfte», wäre, keine dankbare Anerkennung mehr auszusprechen. Jeder provoziert aus seinem eigenen neurotischen Hintergrund den andern zu einer Fehlhaltung, zu der der andere aus eigenem neurotischem Hintergrund ohnehin tendiert. Begreiflicherweise reagiert ein jeder mit Wut und Enttäuschung und überschüttet den Partner mit Vorwürfen, die aus seiner Sicht berechtigt sind.
Der «Pflegling» wird sagen: «Ich bin so unersättlich und undankbar, weil du so vorwurfsvoll und abweisend bist.»
Die «Mutter» dagegen wird sagen: «Ich bin so vorwurfsvoll und abweisend, weil du so unersättlich und undankbar bist.»
Auf ein Schema übertragen, lässt sich der ganze Vorgang von Partnerwahl und Paarkonflikt folgendermaßen darstellen:
Die
Helferkollusion
(orale Kollusion)
Der Selbstheilungsversuch muss als gescheitert betrachtet werden. Die Progression des einen wie die Regression des anderen erweist sich langfristig nicht als taugliche Lösung im gemeinsamen oralen Konflikt. Insbesondere gelingt es auf die Dauer nicht, die verdrängten und dem Partner abgetretenen Aspekte des Konfliktes externalisiert zu halten, ohne sie in ihm zu verfolgen und zu zerstören. Die «Mutter» wird neidisch auf die Zuwendung sein, die der «Pflegling» erhält und ihr abfordert, der «Pflegling» aber wird voller Angst und Wut wegen seiner regressiven Abhängigkeit von der «Mutter» sein. Die gemeinsame Grundphantasie, in der die Partner die orale Kollusion austragen, ist die Mutter-Kind-Symbiose mit der Dimension Pflegen und Gepflegtwerden.
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