Die Zweierbeziehung
Gelegentlich besteht auch eine symmetrische Kollusion, in der beide Partner die Mutterposition für sich beanspruchen oder beide Partner die Pfleglingsposition. Dieser Zustand ist allerdings kaum als dyadisches System aufrechtzuerhalten. Beanspruchen beide die Mutterposition, so benötigen sie dazu meist Drittpersonen – Kranke oder ihre Kinder –, die sie gemeinsam pflegen können. Regredieren aber beide Partner in Pfleglingsposition, so funktionieren sie als dyadisches System nicht mehr und brauchen eine helfende, rettende und pflegende Drittperson. Nicht selten überbieten sich die Partner bei der Flucht in Krankheit und Schwäche, weil keines bereit sein will, dem anderen gegenüber Mutterfunktionen zu versehen. Wenn die Frau erkrankt, erkrankt nicht selten sogleich auch der Mann, da es ihm unerträglich ist, sich pflegerisch um seine Frau bemühen zu müssen.
Beispiel 5: Eine Frau, die mit einem Sozialarbeiter verheiratet ist, leidet seit drei Jahren an schweren depressiven Verstimmungen, in denen sie mehrmals Suizidversuche unternommen hatte. Die Depressionen begannen im zeitlichen Zusammenhang mit der Geburt ihres einzigen Kindes, eines Sohnes. Die Frau klagt darüber, der Mann widme sich seither nur diesem Kinde und zeige ihr gegenüber kaum noch irgendwelches Interesse.
Das Paar lernte sich auf einer Party kennen. Die Frau saß fröstelnd im dunklen Garten vor dem festlich erleuchteten Hause und trauerte einer eben zerbrochenen Liebesbeziehung nach. Der Mann trat in den Garten hinaus, sah das arme Geschöpf und legte wie der heilige Martin seine Jacke um ihre Schultern. So kamen sie miteinander ins Gespräch. Die Frau blühte unter seinem tröstlichen Zuspruch rasch auf. Das Partnerverhältnis konstellierte sich von Anfang an zu einer Therapeut-Patienten-Beziehung. Der Mann sah, wie die Frau unter seinen Bemühungen aufstrahlte, worin er einen Selbstwertzuwachs erfuhr.
Der individuelle Hintergrund der Partner: Der Mann stand als Jüngster von zehn Kindern einer ärmlichen Familie zeitlebens unter dem Eindruck, nicht für voll genommen zu werden. Seine Mutter war eine starke, herrische Frau, neben der der Vater wenig zu sagen hatte. Der Mann war sehr an seine Mutter gebunden, die er aber gleichzeitig auch fürchtete. Er hoffte in der Ehe auf Selbstbestätigung und war bestrebt, eine Frau zu finden, die nicht so herrisch wie seine Mutter sein werde.
Die Frau war Älteste von vier Kindern. Ihre Mutter habe in kalter und selbstbezogener Art die Familie tyrannisiert. Als die Frau im vierten Lebensjahr war, wurde ein Bruder nachgeboren, von dem sie sich in den Schatten gestellt fühlte, weil beide Eltern diesen Sohn vergötterten. Die Frau reagierte damals mit Bettnässen, Trotz und vielfältigen Provokationshandlungen, mit denen sie drastische Strafen auf sich zog, aber damit wenigstens Beachtung erwirken konnte. Sie trat mit dem bewussten Wunsch in die Ehe ein, das Zentrum der Aufmerksamkeit ihres Mannes zu bilden und keinesfalls so tyrannisch zu werden wie ihre eigene Mutter.
In der Ehe war die Frau von der dauernden Angst erfüllt, der Mann könnte in seiner pflegerischen Aufmerksamkeit ihr gegenüber nachlassen. Sie schuf stets neue Situationen, die den Mann zwangen, sie zu retten, zu stützen, zu schonen und ihr alles abzunehmen. Sie verlegte sich ganz auf die Rolle der Schwachen und Hilfebedürftigen. Durch die Geburt des ersten Kindes geriet sie in einen schweren Konflikt: Einesteils fühlte sie die Anforderung, ihre Rolle als Mutter zu versehen und damit eine reife Frau zu werden, andernteils verfiel sie aber der Wiederholung ihrer Geschwisterrivalität und war von größter Angst erfüllt, der Mann könnte sich nun mehr dem Knaben als ihr zuwenden. In diesem Zwiespalt verhielt sie sich dem Mann gegenüber immer regressiver, entwickelte Depressionen, vollführte Heulszenen und Suizidversuche, um sich die Aufmerksamkeit und Zuwendung des Mannes zu sichern. Sie wurde in ihren Ansprüchen dem Mann gegenüber immer anmaßender. Der Mann dagegen suchte in der Ehe in erster Linie Selbstbestätigung. Er stand unter dem Ideal, sich für seine Familie zu opfern und in seiner Fähigkeit, Liebe zu spenden, unerschöpflich zu sein. Er verausgabte sich in der Ehe, bis auch er ausgezehrt und depressiv zusammenbrach und dankbar für das Angebot einer Ehepaartherapie war, um damit von den Ansprüchen der Frau entlastet zu werden.
In der Ehepaargruppentherapie bot sich der Mann alsbald als Co-Therapeut und
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