Die zweite Frau des Arztes (Contoli-Heinzgen-Krimi)
lustig und lebendig, wie sie einmal gewesen war. Im Unterricht hat sie sich nur schwer konzentrieren können. Unter der blöden Kuh von Lehrerin hat Eva gelitten. Oft wurde sie von der Kuh angegiftet: „ Na Eva, gehst du wieder draußen mit deinen Gedanken spazieren?“ Manchmal hat Eva dann geweint und schon wurde sie deswegen angemeckert.
„ Eva Seitz war also eine schlechte und nicht sehr beliebte Schülerin“, stellte Anke fest.
„ Ja, das war sie von Anfang an. Ich glaube, sie hat sehr unter den Verhältnissen gelitten, in denen sie lebte. Ihre Mutter hatte nie Zeit, musste viel arbeiten und Eva war dann entweder bei der Oma oder wenn der Claudius zu Hause war, hat der aufgepasst. Sie hat sich mehr und mehr zu einer Außenseiterin entwickelt. Man kam an sie nicht heran. Sie hat wenig gesprochen und die anderen Kinder hatten auch keine Lust, sich mit ihr zu beschäftigen. Ich eigentlich auch nicht mehr. Aber wir saßen eben nebeneinander.“
Sabine legte eine Pause ein, um einmal tief durchzuatmen. Auf dem Recorder war es einige Zeit still. Weder Anke noch Wolf sagten etwas, bis Sabines Stimme wieder zu hören war ...
„Ach, das muss ich Ihnen erzählen. Die Eva hat während des Unterrichts oft in den Schulheften gemalt. Einmal hat sie so ein Strichmännchen gemalt mit einem ganz langen Glied. Frau Brinkmann, die Kuh, hat sie erwischt und ihr mit hochrotem Kopf das Heft abgenommen und es der Eva mehrmals um die Ohren geschlagen. „Wie kann man nur in dem Alter schon so versaut sein, du wirst noch mal wie deine Mutter enden“ , hat sie dabei geschrien. Eva war sofort aufgesprungen und ist einfach aus der Klasse gerannt. Die Brinkmann hinterher, hat sie wieder eingefangen und zurück auf den Platz geschubst. Ich sehe Eva wieder vor mir. Die Tränen kullerten ihr nur so die Wangen herunter. In der Klasse war es totenstill gewesen. Alle haben wir nur Eva angestarrt. Sie hat mir so unendlich leidgetan, und sie kam mir so hilflos und verlassen vor. Ich habe später unter dem Pult ihre Hand genommen und feste gedrückt und lange Zeit gehalten. In der Pause haben wir uns dann in die letzte Ecke vom Schulhof verkrochen.“
„ In welcher Klasse ist das vorgefallen?“, wollte Anke wissen.
„ In der Dritten. Wir waren acht Jahre alt. Die Zwischenfrage schien Sabine irritiert zu haben. „Ja, wo war ich?“
„ In der Schulhofecke“, half Anke ihr auf die Sprünge.
„ Richtig, Eva hat in der Pause geweint und gesagt, dass sie eigentlich viel lieber nur bei der Oma sein will, weg von der Mama. Ich war ganz bestürzt und habe sie gefragt, warum? Ob sie ihre Mama nicht lieb hat? Doch schon, hat sie gesagt, furchtbar lieb sogar, aber ihre Mutter hätte sie nicht lieb, nur den Claudius. Ich war richtig erschüttert.
Frau Heimann ergriff das Wort. „Die Irmi war wohl total überfordert mit der ganzen Situation. Aber irgendwie hat man gewusst, dass ihr so was passieren würde, bei den vielen Jungs, mit denen sie es ...“
„Ach Mama!“, fauchte Sabine dazwischen. „Jetzt hör schon auf. Das ist ja direkt peinlich. Außerdem, das hätte mir genauso passieren können, wenn ich an irgend so ein Arschloch geraten wäre.“
„ Dem Himmel sei Dank“, murmelte Frau Heimann.
„ Hat Eva Ihnen denn mal erzählt, Sabine, wie das bei ihr zu Hause so ablief mit ihrer Mutter und diesem, wie hieß er noch, Claudius?“, hinterfragte Anke.
„ Nein, das hat sie nie. Ich habe sie mal gefragt, ob sie den Claudius mag. Sie hat nur heftig mit dem Kopf genickt. Sie hat sich immer mehr selbst ausgeschlossen. Sogar zum Spielen ist sie nachmittags nicht mehr rausgekommen. Nach der vierten Klasse bin ich auf die Realschule gegangen, Eva auf die Hauptschule. Da hatten wir dann gar keinen Kontakt mehr. Schließlich ist sie ja dann auch nach Bonn gezogen. Was ich noch sagen wollte, die Eva war natürlich, genau wie ihre Mutter, unwahrscheinlich hübsch. Schon in der Grundschule wurde sie auf dem Schulhof von den Jungs oft geärgert. Wissen Sie, ich meine dieses Ärgern, um Kontakt zu suchen. Die Jungs haben sie auch einfach angerempelt, angefasst und gestoßen. Eva hat das als ganz schlimm empfunden und hat oft die gesamten Pausen nur auf der Toilette verbracht. Wenn ich heute so darüber nachdenke, sie muss kreuzunglücklich gewesen sein.“
„ Glauben Sie?“, fragte Anke vorsichtig, „dass Eva Seitz weiß, wer ihr Vater ist?“
„ Ne, ne bestimmt nicht“, mischte sich Sabines Mutter wieder ein.
„ Mama, das kannst
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