Die zweite Frau des Arztes (Contoli-Heinzgen-Krimi)
Eva, die vor der Toilettenschüssel kniete. Wolf lehnte sich an den Türrahmen. Nach einiger Zeit erhob sich Eva, beugte sich über das Waschbecken und gurgelte mehrmals. Als sie sich erholt hatte, heftete sie ihren starren Blick durch den Spiegel auf ihn. Wolf bewegte sich unbewusst. Er spürte, dass sie etwas Entscheidendes sagen würde. Vielleicht war dies das Ende seiner Sitzungen mit ihr.
„Also gut“, eröffnete sie ihm, „es reicht.
„ Okay, dachte Wolf und wollte zu ihrer Äußerung etwas einwerfen, aber da sprach sie schon weiter.
„ Ich habe keine Lust, mein Leben lang zu kotzen, sobald es moderig riecht.“
Wolf stöhnte innerlich. Ja, es war das Ende. Nach einer kleinen Pause wiederholte sich Eva.
„Zu kotzen, sobald es moderig riecht. Ob nun wirklich oder nur in meiner Einbildung.“
Entschlossen wandte sie sich ihm zu. Und schließlich sagte sie etwas, dass sein Herz höher schlagen ließ.
„Setzen wir die kleine Eva auf den Stuhl.“
Eva betrachtete eine Weile schweigend das Möbelstück, ehe sie es inne nahm. Wolf gab ihr die Zeit, die sie brauchte, bis sie sich endlich erste Brocken herausquälte.
„ Ich hatte keinen Vater. Ich habe ihn nie gekannt.“
Bei den Wörtern nie gekannt stockte sie für eine Sekunde und Wolf überkam sofort das Gefühl, nicht ganz die Wahrheit zu hören. Zugleich fühlte er sich erleichtert, dass er nicht von sich aus auf ihren Vater zu sprechen gekommen war, und er beschloss, auch ihre Mutter vorerst nicht zu erwähnen. Still und gespannt wie ein Kind vor einer großen Überraschung wartete Wolf, bis Eva zu reden begann.
„ Damals lebte ich mit meiner Mutter bei meiner Oma. Eines Tages erklärte mir meine Mutter. Eva, ich habe jetzt einen Freund und wir ziehen zu ihm nach Walporzheim rüber. Meine Oma stand in der Tür gelehnt und sagte zu meiner Mutter. Was? Du bist wohl nicht gescheit. Du kennst den Burschen doch überhaupt noch nicht. Jetzt mach doch nicht schon wieder den Fehler und stürz dich Hals über Kopf irgendwo rein. Nachher hast du noch so ein Balg . Ich blickte ängstlich von meiner Oma zu meiner Mutter. Halt die Klappe, Mama , rief meine Mutter barsch der Oma zu. Du bist doch froh, wenn wir hier weg sind . Sie holte dann einen Koffer und eine Tasche aus dem Keller. Die Tasche stellte sie in mein kleines Zimmer. So kann man eigentlich nicht dazu sagen, es hatte eher die Größe einer Abstellkammer. Fang schon mal an zu packen, Eva , forderte meine Mutter mich dann auf und ich stand da wie betäubt. Oma ist zu mir gekommen, hat mich in den Arm genommen und gemurmelt. Deine Mutter ist bekloppt . Anschließend half Oma mir packen. Was ist ein Balg, Oma?, fragte ich sie dann, obwohl ich es mir denken konnte und auch wusste, dass sie mich damit gemeint hat. Und das hat wehgetan. Die Antwort blieb ihr erspart, weil es auf einmal draußen hupte wie wild. Wir stürzten beide zum Fenster, aber Oma hat mich sofort wieder zurückgezogen. Komm, mach zu, sonst wird deine Mutter noch wütend auf dich, hat sie mir dann ins Ohr geflüstert, als hätten die es draußen hören könne. Ich packte eilig und wahllos ein paar Sachen. Meine Mutter nahm Koffer und Tasche und stellte beides in den Flur. Oma war uns gefolgt. Mein Opa war da schon tot, sonst hätte es sicher furchtbar Krach gegeben. Er war immer nur wütend auf meine Mutter gewesen. Oma stand da und machte ein ganz trauriges Gesicht. Ich ging zu ihr und nahm ihre Hand. Meine Mutter sah uns beide an und sagte. Eva kann dich ja jeden Tag besuchen. Mama. Mutter öffnete die Haustür und hievte Koffer und Tasche nach draußen. Da stand ein dunkelblaues Auto, daneben ein großer, schlanker Mann mit schwarzen Locken. Er nahm meine Mutter in den Arm, küsste sie lange und wiegte sie dabei hin und her. Ich stand völlig verwirrt daneben, Oma in der Haustür. Als er meine Mutter endlich losließ, fiel sein Blick auf mich. Und du bist Eva. Himmel noch mal, du wirst ja noch mal hübscher als deine Mutter. Hey , mischte sich meine Mutter sofort ein, jetzt hör mal auf, das ist noch ein Kind. Als fände sie das lustig, schlu g sie ihm eins auf den Hintern. Der fremde Mann wand sich belustigt um, lachte und zeigte schöne weiße Zähne.“
Wolf schaute seine Patientin an. Mit einem Mal schien Eva nachdenklich zu werden. Sie atmete schwer durch, senkte den Kopf und rieb sich den Nacken. Wolf ahnte, wie schwer es ihr fiel, über diese Zeit zu sprechen. Für ihn war fast klar, dass hier ein großer Teil
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