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Die zweite Haut

Die zweite Haut

Titel: Die zweite Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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durchschnitt wie es ihr gerade gefiel.
    Manchmal schien es für Marty logisch zu sein, das Leben so zu sehen. Er konnte sich die Gesichter dieser weißgekleideten Gestalten besser vorstellen als die seiner Nachbarn in Mission Viejo. Klotho besaß ein gütiges Gesicht mit fröhlichen Augen, die an die Schauspielerin Angela Lansbury erinnerten, und Lachesis war niedlich wie Goldie Hawn, aber mit einer Aura des Heiligen. Lächerlich, aber so stellte er sie sich vor. Atropos war ein Miststück, wunderschön, aber kalt – verkniffener Mund, anthrazitfarbene Augen.
    Der Trick bestand darin, sich das Wohlwollen der ersten beiden Schwestern zu sichern, ohne die Aufmerksamkeit der dritten auf sich zu lenken.
    Vor fünf Jahren war Atropos in Form einer Blutkrankheit von ihrem himmlischen Gefilde herabgestiegen, um an Charlottes Lebensfaden zu schnippeln, den sie aber Gott sei Dank nicht völlig durchgeschnitten hatte. Aber außer auf Atropos hörte diese Göttin auf zu viele Namen: Krebs, Hirnblutung, Koronarthrombose, Feuer, Erdbeben, Gift, Mord und zahllose weitere. Vielleicht stattete sie ihnen jetzt gerade wieder einen Besuch unter einem ihrer zahlreichen Pseudonyme ab, nur war dieses Mal Marty das Ziel, nicht Charlotte.
    Manchmal konnte die lebhafte Phantasie eines Romanciers ein Fluch sein.
    Plötzlich ertönte aus den Schatten von Charlottes Seite des Zimmers ein Klackern und Rattern und erschreckte Marty. Tief und bedrohlich wie die Warnung einer Klapperschlange. Dann wurde ihm klar, worum es sich handelte: eine Hälfte im Käfig der Rennmaus nahm ein Laufrad ein, und das rastlose Tier rannte darin wie besessen auf der Stelle.
    »Geh schlafen, Wayne«, sagte er leise.
    Er warf noch einen Blick auf die Mädchen, dann verließ er das Zimmer und machte die Tür leise hinter sich zu.

12
    Er erreicht Topeka um ein Uhr früh.
    Er wird immer noch zum westlichen Horizont gezogen, so wie ein Zugvogel unerbittlich nach Süden gezogen wird, wenn der Winter kommt, und folgt einem Ruf, der lautlos ist, einem unsichtbaren Signalfeuer, als würden die Spuren von Eisen in seinem eigenen Blut auf diesen unbekannten Magneten ansprechen.
    Er verläßt den Freeway am Stadtrand und sucht nach einem anderen Auto.
    Irgendwo gibt es Menschen, die den Namen John Larrington kennen, die Identität, unter der er den Ford gemietet hat. Wenn er nicht in Seattle auftaucht, wo ihn möglicherweise ein anderer Auftrag erwartet hätte, werden diese seltsamen und gesichtslosen Vorgesetzten zweifellos anfangen, nach ihm zu suchen. Er vermutet, daß sie über gewaltige Mittel und Einfluß verfügen; er muß jede Verbindung mit seiner Vergangenheit abbrechen, damit die Jäger keine Möglichkeit haben, ihn zu verfolgen.
    Er parkt den gemieteten Ford in einer Wohngegend und geht drei Blocks weit zu Fuß, wobei er die Türen der am Straßenrand geparkten Autos ausprobiert. Nur die Hälfte sind verschlossen. Er wäre bereit, ein Auto kurzzuschließen, sollte es erforderlich sein, aber in einem blauen Honda findet er die Schlüssel hinter der Sonnenklappe.
    Nachdem er zu dem Ford zurückgefahren ist und Koffer und Pistole in den Honda umgeladen hat, fährt er in immer größeren Kreisen und sucht nach einem Laden, der rund um die Uhr geöffnet hat.
    Er hat keine Karte von Topeka im Kopf, weil niemand damit gerechnet hat, daß er dorthin gehen würde. Es raubt ihm den letzten Nerv, Straßenschilder anzusehen, deren Namen ihm alle unbekannt sind, und keine Ahnung zu haben, wohin ihn eine Straße führen wird.
    Er fühlt sich ausgestoßener denn je.
    Nach fünfzehn Minuten findet er einen Supermarkt und kauft die Regale mit Slim Jims, Käsecrackern, Erdnüssen, Minikrapfen und anderen Lebensmitteln, die man leicht beim Fahren verzehren kann, fast leer. Er ist bereits ausgehungert. Falls er noch zwei Tage unterwegs sein wird – vorausgesetzt, er wird ganz bis zur Küste gezogen –, braucht er beachtliche Vorräte. Er will seine Zeit nicht in Restaurants vergeuden, doch sein beschleunigter Stoffwechsel zwingt ihn, größere Mahlzeiten und häufiger zu essen als andere Menschen.
    Nachdem er noch drei Sechserpacks Pepsi zu den anderen Sachen in dem Einkaufswagen gelegt hat, geht er zur Registrierkasse, wo die einsame Kassiererin sagt: »Sie scheinen eine Riesenparty zu feiern, oder so.«
    »Ja.«
    Als er bezahlt, wird ihm klar, daß er mit den dreihundert Dollar in seiner Börse – die Summe Bargeld, die er immer bei einem Job dabei hat – nicht weit kommen wird.

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