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Die zweite Haut

Die zweite Haut

Titel: Die zweite Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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…«
    »Geh, Paige, geh endlich!«
    Sie trat zwischen Charlotte und Emily, nahm jede an einer Hand, führte sie aus der Garage in den Wolkenbruch hinaus und drehte sich nur noch einmal zu ihm um.
    Er sah ihnen nach, bis sie das Ende der Einfahrt erreichten, nach rechts und links sahen, ob Autos kamen, und dann die Straße überquerten. Als sie durch die silbernen Schleier des Regens gingen, sahen sie mit jedem Schritt weniger wie Menschen und mehr wie entschwindende Geister aus. Er wurde von dem beunruhigenden Gefühl überkommen, daß er sie nicht mehr lebend Wiedersehen würde; er wußte, das war nichts weiter als eine irrationale, von Adrenalin erzeugte Reaktion auf das, was er durchgemacht hatte, aber die Angst schlug dennoch Wurzeln in ihm und fing an zu wachsen.
    Ein kalter, nasser Wind wehte in die hintersten Winkel der Garage, der Schweiß auf Martys Gesicht fühlte sich an, als wäre er sofort in Eis verwandelt worden.
    Er ging in die Küche zurück und schloß die Tür.
    Obwohl er schlotterte und halb erfroren wirkte, sehnte er sich nach einem kalten Drink, denn seine Kehle brannte, als würde dort ein Kerosinfeuer lodern.
    Vielleicht starb der Mann in der Diele gerade, hatte in diesem Augenblick Krämpfe oder einen Herzanfall. Sein Zustand war verdammt schlecht. Es wäre sicher nicht schlecht, wenn er gleich zu ihm hineingehen und auf ihn aufpassen würde, sollten Erste-Hilfe-Maßnahmen erforderlich sein, bevor die Behörden eintrafen. Marty wäre es gleichgültig gewesen, wenn der Kerl gestorben wäre – er wollte , daß er starb –, aber erst wenn eine ganze Menge Fragen beantwortet und zumindest ein bißchen Licht ins Dunkel der jüngsten Ereignisse gebracht waren.
    Aber bevor er etwas anderes tat, mußte er etwas zu trinken holen, um die Schmerzen im Hals zu lindern. Im Augenblick war jedes Schlucken eine Tortur. Wenn die Polizei eintraf, mußte er darauf vorbereitet sein, eine ganze Menge zu reden.
    Wasser aus dem Hahn schien nicht kalt genug zu sein, daher machte er den Kühlschrank auf – er hätte schwören können, daß längst nicht mehr soviel darin war wie am Vormittag – und ergriff eine Tüte Milch. Nein, beim bloßen Gedanken an Milch mußte er würgen. Milch erinnerte ihn an Blut, weil es eine Körperflüssigkeit war; das war natürlich lächerlich, aber die Ereignisse der vergangenen Stunde waren irrational, mußten auch seine Reaktionen teilweise irrational sein. Er stellte die Tüte ins Fach zurück, griff nach dem Orangensaft, dann sah er die Flaschen Corona und 0,33er Dosen Coors. Nichts hatte je köstlicher ausgesehen als dieses gekühlte Bier. Er nahm eine der Dosen, weil darin etwas mehr Bier war als in den Flaschen Corona.
    Der erste große Schluck entfachte das Feuer in seinem Hals, statt es zu löschen. Der zweite tat nicht mehr ganz so weh wie der erste, und der dritte nicht mehr so sehr wie der zweite, und danach war jeder Schluck so heilsam wie Honigmedizin.
    Mit der Pistole in einer Hand und der halbleeren Dose Coors in der anderen ging er durch das Haus zurück zur Diele, wobei er mehr wegen der Erinnerung an das zitterte, was geschehen war, und der Aussicht, was vor ihm lag, als wegen des eiskalten Biers.
    Der Andere war fort.
    Marty war so verblüfft, daß er das Coors fallen ließ. Die Dose rollte hinter ihn; schaumiges Bier ergoß sich auf den Boden des Wohnzimmers. Obwohl ihm die Dose mir nichts dir nichts aus der Hand flutschte, hätte ihn nur ein Hydraulikgreifer dazu zwingen können, die Waffe loszulassen.
    Trümmer der Balustrade, ein Teil des Geländers und Splitter bedeckten den Boden der Diele. Mehrere mexikanische Fliesen waren beim Aufprall des harten Eichenholzes oder des Stahls der Smith & Wesson gesprungen oder gesplittert. Keine Leiche.
    Von dem Augenblick an, als der Doppelgänger Martys Arbeitszimmer betreten hatte, war der Tag ohne das übliche vorherige Einschlafen zu einem Alptraum geworden. Die Ereignisse waren den Fesseln der Realität entschlüpft, sein eigenes Haus war zu einer dunklen Traumlandschaft geworden. So surrealistisch die Konfrontation gewesen war, er hatte, solange sie stattfand, nicht ernsthaft daran gezweifelt, daß sie tatsächlich passierte. Und auch jetzt zweifelte er nicht daran. Er hatte weder auf eine Ausgeburt der Phantasie geschossen, noch war er von einer Illusion gewürgt worden oder allein durch das Geländer gestürzt. Der Andere, der reglos auf dem Fliesenboden gelegen hatte, war so real gewesen wie die Trümmer der

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