Die zweite Invasion - Legenden der Zukunft (German Edition)
ihr gesamtes Arsenal an Nuklearsprengköpfen ab und zündeten schließlich eine Wasserstoffbombe, die das gesamte Areal in einen Lavasee verwandelte. Zu diesem Zeitpunkt waren die Generationenraumschiffe der MEDEA allerdings schon Jahrzehnte unterwegs.«
»Und warum gibt es keine Informationen da rüber?«, erkundigte sich Vincent zweifelnd. »Und was hat das alles mit deinem Gott zu tun?«
»Nichts, wenn man davon absieht, dass es unter anderem auch unterschiedliche Glaubensauslegu ngen waren, die zu diesem letzten Krieg führten. Daraus zogen die Auswanderer den Schluss, dass der Glauben selbst die Ursache allen Übels wäre, und verboten ihn einfach. Nachdem der Kontakt zur Heimat abgebrochen war, wurden auf Weisung MEDEA sämtliche religiösen Schriften, Symbole und Kunstwerke aus den Datenbanken entfernt und ihre bloße Erwähnung unter Strafe gestellt. Praktizierende Gläubige, die sich unter die Kolonisten geschmuggelt hatten, verloren ihre Persönlichkeitsrechte und wurden im Wiederholungsfall exekutiert. Mit der Überwachung des Kausalitätsgebotes und der Ahndung von Verstößen beauftragte die MEDEA eine spezielle Behörde, deren Kompetenzen schrittweise erweitert wurden, bis daraus die heutige »Zentrale« entstand. Die ersten Jäger bekämpften nicht etwa Kriminelle, sondern machten Jagd auf Gläubige und zwar im Wortsinn: Sie spürten sie auf, um sie zu töten. Auch darüber existieren keinerlei offizielle Aufzeichnungen, aber innerhalb der Datensphäre sind diese Informationen natürlich frei verfügbar.«
»Dann kann man sie also im Allnet abrufen?«, e rkundigte sich Vincent überrascht.
»Nein, das Allnet enthält wie alle öffentlich z ugänglichen Datenbanken nur gefilterte Informationen. Die Datensphäre ist etwas völlig anderes – eine Art Parallelwelt mit eigenen Strukturen und Gesetzen.«
»Ich dachte, die Zentrale kontrolliert sämtliche Computersysteme und Datennetze innerhalb der Föderation?«
»Sie glaubt , sie zu kontrollieren, Vincent.« Der Fremde zuckte mit den Schultern. »Aber die Datensphäre lässt sich nicht reglementieren. Inzwischen bildet sie längst eine übergeordnete Instanz, unsichtbar und innerhalb gewisser Grenzen sogar mächtiger als der alte Gott der Menschen. Unglücklicherweise sind die Zentrale und die ihr ergebenen KIs noch weit von dieser Erkenntnis entfernt. Du hast selbst miterlebt, zu welch verzweifelten Mitteln sie mittlerweile greifen.«
»Auf Stamfani sind Menschen getötet worden«, erklärte Vincent verbittert. »Und mehrere Hundert dieser seltsamen Vögel. Ich weiß nicht, was dich – oder euch ? – dorthin geführt hat, aber war es das wirklich wert?«
»Wir haben von der Präsenz des Militärs gewusst, aber nicht mit einem derart brutalen Angriff gerec hnet«, gab der Fremde zu. »So blieb uns nicht einmal die Zeit, ihre Seelen zu retten. In dieser Region ist die Datensphäre noch zu schwach.«
»Welche Seelen?«, fragte Vincent irritiert.
Der Mann am Feuer lächelte.
»Entschuldige, ich hätte mich präziser ausdrücken sollen, Vincent. Der Begriff ›Seele‹ bezeichnet das Ich-Bewusstsein eines Menschen, also alles, was seine Identität ausmacht. Eure Vorfahren gingen davon aus, dass sie im Gegensatz zum Körper u nsterblich ist und sich nach dem biologischen Tod vom Körper trennt.«
»Und wo befindet sie sich dann, diese Seele ?« Nachdenklich starrte Vincent ins Feuer und fragte sich einmal mehr, ob das, was er in diesem Moment sah, hörte und empfand, überhaupt real sein konnte.
»Das ist ein gute Frage, Vincent«, sagte der Fremde, »und sie verdient eine ehrliche Antwort. Wir haben natürlich versucht, das herauszufinden, aber die Aufzeichnungen waren so widersprüchlich, dass wir zu keinem Ergebnis gekommen sind. Letz tlich wissen wir nicht einmal, ob der Gott der Menschen jemals existiert hat. Was wir aber ganz sicher wissen, ist, dass die Menschen ohne Hoffnung nicht leben können. Wenn die eigene Existenz mit dem biologischen Tod endet und jegliches Handeln am Ende ohne Folgen bleibt, führt das über kurz oder lang zur Dekadenz oder – wie das Beispiel der Goleaner zeigt – sogar ins Verbrechen. Wusstest du, dass die Chimären auf Stamfani zu ihren Opfern gehörten? Es waren Menschen, Vincent, eingesperrt in einen Vogelkörper mit seinen animalischen Zwängen, ohne Sprache, ohne Hände und vor allem ohne Hoffnung auf ein Ende ihres Martyriums.«
Vincent schüttelte stumm den Kopf. Etwas in ihm weigerte sich, die
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