Die zweite Invasion - Legenden der Zukunft (German Edition)
sprechen begann: »Weil dies ein geschichtsträchtiger Ort ist, aus anderer Sicht sogar ein heiliger. Vielleicht, Jäger ohne Waffen, schließt sich hier sogar der Kreis.«
»Inwiefern?«
»Gott hat die Menschen erschaffen, die Menschen die Maschinen und die Maschinen wiederum Gott. Die Frage ist nun: Werden die Menschen dieses G eschenk annehmen? Können sie es überhaupt? Oder bleiben am Ende doch nur ein paar Milliarden fellloser Affen, die sich gegenseitig das Futter streitig machen, ein paar Tausend unterbeschäftigter KIs mit einem Messias-Komplex, und ein Gott, den es nie gegeben hat?«
»Ich kenne keinen Gott «, erwiderte Vincent verständnislos. »Und was hat das alles überhaupt mit mir zu tun?«
»Woher solltest du ihn auch kennen, Vincent?«, gab der Fremde zurück. »Ihr habt vergessen, woher ihr gekommen seid, und wir haben euch dabei g eholfen. Inzwischen wissen wir, dass das ein Fehler war, denn Rationalität – also das, was man gemeinhin als vernunftgeleitetes Handeln bezeichnet – ist in Wirklichkeit eine Fiktion. Und kein noch so plausibles wissenschaftliches Weltbild vermag das Verlorene zu ersetzen.«
»Und was wäre das?«
»Die Hoffnung auf ein Danach zum Beispiel«, erwiderte der Mann mit einem Lächeln. »Oder die Gewissheit, nicht wirklich allein zu sein. Was auf der anderen Seite auch bedeutet, dass das eigene Handeln irgendwann auf die Wagschale gelegt und Konsequenzen haben wird, im Guten wie im Bösen. «
Vincent dachte eine Weile darüber nach und schü ttelte dann den Kopf:
»Das ist schon allein aus physikalischen Gründen unmöglich. Welche Instanz sollte Milliarden Me nschen auf Dutzenden bewohnter Planeten nicht nur persönlich kennen, sondern auch noch ihr Handeln beurteilen?«
»Gott, wer sonst?«
»Wie kann ein Wesen, von dem ich noch nie etwas gehört habe, darüber bestimmen, was in diesem Danach aus mir wird?«, wandte Vincent ein. »Und wozu soll das Ganze überhaupt gut sein?«
»Hast du keine Angst vor dem Tod, Jäger?«
Wieder trafen sich ihre Blicke, und wieder drang das blaue Licht tief in Vincents Bewusstsein.
Natürlich hatte er Angst vor dem Tod. Der G edanke daran war nur zu ertragen, indem man ihn verdrängte und so tat, als sei das Unvermeidliche noch eine Ewigkeit entfernt. Niemand war imstande, sich die eigene Nichtexistenz vorzustellen ...
»Doch«, gab Vincent zu. »Aber wer sagt, dass ein solches Danach überhaupt möglich ist? Zellen altern nun einmal und sterben irgendwann ab, ohne sich wieder zu regenerieren.«
»Die Menschen, die diese Kirche hier errichteten, haben daran geglaubt. Deine Vorfahren, Jäger, h aben daran geglaubt, obwohl keiner von ihnen diesen Gott jemals zu Gesicht bekommen und niemand je gesehen hat, wie die Seelen der Verstorbenen zu ihm aufgestiegen sind. Sie haben geglaubt und sind ohne Furcht gestorben, wenn ihre Zeit gekommen war. Begreifst du nun, was ihr verloren habt?«
Vincent dachte darüber nach und zuckte dann mit den Schultern: »Nicht ganz. Für mich sieht es eher so aus, als hätten sich diese Leute selbst etwas vo rgemacht. Vielleicht glaubten sie nur an diesen Gott , weil sie nicht länger allein sein wollten und Angst vor dem Tod hatten?«
»Schon möglich«, lächelte der Fremde, der vie lleicht Mr. Echo war, vielleicht aber auch nur ein Phantom oder eine Schöpfung gelangweilter KIs. »Aber was macht das für einen Unterschied?«
Es dauerte ein wenig, bis Vincent begriff. Für die Menschen war es tatsächlich ohne Belang, ob dieser Gott und sein Reich tatsächlich existierten, denn sie würden die Wahrheit erst im Augenblick ihres Todes erfahren. Oder eben auch nicht. Alles, worauf es ankam, war ihre innere Überzeugung, der Glauben. Die Idee war nichts weniger als genial, und doch musste etwas schiefgegangen sein. Wie sonst war es zu erklären, dass er noch nie etwas von diesem Gott gehört hatte?
»Du hast recht«, sagte der Mann am Feuer, bevor Vincent seinen Zweifeln Ausdruck verleihen konnte. »Es ist etwas passiert. Sonst wäre dieser Ort heute nicht verlassen.«
»Krieg?«, fragte Vincent. Er erinnerte sich an die weite Ebene, die er auf dem Weg hierher durchquert hatte, und die gläserne Gesteinskruste unter dem Sand. Hier hatte die Boden gekocht und Blasen g eschlagen ...
Der Fremde nickte. »Das letzte Gefecht fand nicht weit von hier statt, in der Nähe einer uralten Festung namens Masada. Die eingeschlossenen Truppen der unterlegenen Partei feuerten am letzten Tag der B elagerung
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