Die zweite Invasion - Legenden der Zukunft (German Edition)
nicht ei nmal dir gehört.«
Der Mann am Feuer lächelte, als hätte er die Frage erwartet, doch als er antwortete, klang seine Stimme ernst:
»Ich bin das, was du in mir siehst, Vincent. Wenn du an mich glaubst, dann spreche ich im Namen Gottes. Wenn nicht, dann bin ich nicht mehr als ein größenwahnsinniger Scharlatan. Das war zu allen Zeiten eine Entscheidung, die jeder Mensch für sich allein treffen musste. Er konnte glauben oder sich achselzuckend abwenden.«
»Ich kann das Angebot also auch ablehnen?«, fragte Vincent, obwohl sich alles in ihm gegen den Geda nken wehrte.
»Natürlich, Jäger , dann wird eben ein anderer die Last tragen müssen.«
»Welche Last?«
»Ich glaube, das weißt du längst«, sagte der Fremde, als sich ihre Blicke begegneten. Das blaue Leuchten ließ keinen Platz für Ausflüchte.
Vincent nickte und lächelte bitter: »Ihr braucht ke inen Gefolgsmann, sondern jemanden, der für euch kämpft, stirbt und aufersteht – immer wieder.«
»Nicht für uns, Vincent«, korrigierte ihn der Mann am Feuer, »zumindest nicht in erster Linie. Es sind Menschen wie du, die der Hoffnung bedürfen – und der Verantwortung für ihr eigenes Tun. Auße rdem waren es nicht die Gläubigen, die zuerst zu den Waffen gegriffen haben ...«
»Es gibt also noch andere?« In Vincents Überr aschung mischte sich eine Spur Enttäuschung. War er am Ende doch nur einer unter vielen?
Im Blick des Fremden lag keinerlei Vorwurf, und doch wurde Vincent schlagartig bewusst, wie sch äbig und kleinmütig dieser Gedankengang war. Beschämt biss er sich auf die Lippen.
»Nein, das bist du nicht, Vincent. Die alten Me nschen hatten dafür den Begriff primus inter pares – Erster unter Gleichen. Wie sonst könnten wir dir die Flotte der Rechtgläubigen anvertrauen?«
»Welche Flotte?«
»Diese«, erwiderte der Fremde und deutete in den nachtblauen Himmel, der sich wie eine sterngeschmückte Kuppel über ihnen wölbte.
Einen Augenblick lang glaubte Vincent, es seien die Sterne selbst, die in Bewegung geraten waren, bis er begriff, dass die Lichter über ihnen die Trie bwerksfeuer von Raumschiffen waren, die zur Landung ansetzten. Es waren Dutzende, möglicherweise sogar mehr als einhundert Schiffe unterschiedlichster Größe, die nahezu synchron die Bremsraketen zündeten und das gesamte Areal in gespenstisches weißes Licht tauchten, während der Donner ihrer Triebwerke die Luft erfüllte.
Die Armada , dachte Vincent in plötzlicher Gewissheit. Von hier aus wird sie ihren Weg nehmen.
»Und du wirst sie anführen, als Vincent I. – der Er ste unter Gleichen«, sagte jemand hinter ihm, doch als Vincent sich umwandte, war der Fremde verschwunden.
Nur das Feuer brannte noch immer, und jeder neue Schwall erhitzter Luft von den Landeplätzen ließ es auflodern und trieb einen Schwarm glühender Fu nken in die Nacht über Bethlehem.
Regungslos beobachtete Vincent, wie sich die Schiffe auf weißen Feuersäulen auf die Wüste he rabsenkten; und als Licht und Lärm vergingen, war er bereit.
Er musste nicht lange warten.
Sechs Standardjahre später starb Papst Vincent I. zum letzten Mal. Die Schlacht um Manhattan Ce nter war längst entschieden, als ein von den Verteidigern blindlings abgefeuertes Fusionstorpedo sein jenseits der Angriffsformation getarnt operierendes Flaggschiff traf und in eine Wolke ionisierter Moleküle verwandelte.
Der Volltreffer änderte nichts an der Niederlage der Allianztruppen und dem Verlust ihrer letzten Bast ion. Der Märtyrertod des Papstes besiegelte im Gegenteil den Erfolg der Reconquista in einer Weise, die jeden weiteren Widerstand nicht nur sinnlos, sondern geradezu undenkbar erscheinen ließ. Der Herr hatte seinen Diener zu sich genommen, nachdem das Werk vollbracht war, und niemand würde es fortan wagen, sich Seinem Willen zu widersetzen: Fiat voluntas Tua, sicut in cælo, et in terra ...
Vincent starb ohne Schmerzen. Er verspürte nur das fast schon gewohnte Schwindelgefühl des Skips und verlor einen Moment lang die Orientierung. Diesmal jedoch erwachte er nicht in einem der von blauem Licht erfüllten Reinkarnationsräume, sondern an einem anderen Ort, der ihn mit schmeichelnder Wärme empfing und dem Gefühl zu schweben.
Zu Hause.
Vincent war nackt, aber das empfand er eher als wohltuend, denn die Luft war ebenso warm wie das Wasser, in dem er trieb, und die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Ihr Licht würde ihn blenden, wenn er die Augen öffnete, und
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