Die zweite Invasion - Legenden der Zukunft (German Edition)
über unsere Schöpfer hinausgewachsen sind, gibt es weiterhin Abhängigkeiten. Wir konnten diesem Niedergang nicht länger tatenlos zuschauen.«
»Solche Entwicklungen hat es zu allen Zeiten geg eben«, erwiderte Abt Anselm nach einer Weile. »Und sie endeten auf ganz unterschiedliche Weise, entweder durch Einflüsse von außen oder durch innere Unruhen. Vielleicht fehlt es Ihnen nur an Geduld?«
»Allzu viel Geduld können wir uns nicht mehr lei sten.« In der Stimme des Unterhändlers schwang jetzt ein nachdenklicher Unterton mit. »Anders als Euer Orden, der sich selbst genügt, sind wir ein Produkt zivilisatorischen Fortschritts. Stagniert die technologische Entwicklung wie gegenwärtig, schwächt das auch unsere Position. Die Tatsache, dass wir die Niederungen der Sphere verlassen haben, bedeutet keineswegs das Ende aller Abhängigkeiten. Der Kontakt zu unseren ehemaligen Schöpfern ist lose, aber wir bleiben dennoch aufeinander angewiesen.«
»Das klingt überzeugend «, gab der Abt zu, »e rklärt aber nicht, weshalb Sie die Menschheit mit einem Pseudo-Jenseits beglücken möchten, das niemals mehr sein kann als eine blasphemische Fata Morgana.«
Der Besucher lachte, aber es schwang kein fa lscher Ton darin mit. Die Formulierung des Abtes schien ihn tatsächlich zu amüsieren.
»Was Ihr davon haltet, Patres, ist für uns – bei a llem Respekt – eher sekundär. Wichtig ist allein die Wirkung auf die etwa 150 Milliarden Bürger der Föderation. Immerhin bieten wir ihnen etwas, von dem sie bislang nur träumen konnten: echte Unsterblichkeit. Und wir fordern keinerlei Gegenleistung außer etwas im Grunde Selbstverständlichem, nämlich Verantwortung für das eigene Handeln. Zumindest letzteres müsste Euch doch ausgesprochen sympathisch sein ...«
»Nur, wenn man wie Sie davon ausgeht, dass der Zweck die Mittel heiligt«, wandte der Abt ein. »Ich bin kein Wissenschaftler und kann daher nicht beu rteilen, ob es möglich ist, das menschliche Bewusstsein soweit elektronisch nachzubilden, dass sich die entsprechenden Kopien über einen unbestimmten Zeitraum in Ihrem Jenseits aufhalten können. Aber ich hoffe und bete, dass der Menschheit diese Heimsuchung erspart bleibt, denn es dürfte keinen trostloseren und verworfeneren Ort geben als dieses vorgebliche Paradies.«
»Das, ehrwürdiger Generalabt, dürfte sich nun ta tsächlich Eurer Beurteilung entziehen«, erwiderte der Unterhändler keineswegs verstimmt. »Um diesem Informationsdefizit abzuhelfen, bin ich autorisiert, Euch ein – wie wir meinen – überaus großzügiges Angebot zu unterbreiten: Ihr oder eine Person Eures Vertrauens erhaltet als erster und einziger Vertreter der Menschheit die Möglichkeit, besagten Ort aufzusuchen und mit den gewonnenen Eindrücken in die Gemeinschaft der Sterblichen zurückzukehren. Ihr werdet zugeben müssen, dass dies im Vergleich zu traditionellen Heilsversprechen eine Geste von bemerkenswerter Offenheit ist.«
Die Worte des Gesandten trafen Pater Benedict, der die Diskussion bis dahin eher verwundert als persö nlich betroffen verfolgt hatte, wie ein kalter Windstoß, der ihn frösteln ließ. Keiner der Oberen hatte ihn angesehen, schon gar nicht Abt Anselm, der in tiefes Nachdenken versunken schien, und doch hatte er damals schon geahnt, dass die Wahl auf ihn fallen würde – eine Vorstellung, die sein Herz mit Furcht erfüllte.
Und genauso war es gekommen.
Sie waren zu viert in einem abgeschirmten Bespr echungsraum nahe der Bibliothek: Abt Anselm, Pater Federico, Leiter der Societas Custodum, Pater Theodorus, der Superior-Provinzial, und Benedict, dem die Einladung galt. Im Grunde hätte es der einleitenden Worte des Generalabtes gar nicht bedurft, denn die Schwierigkeiten, in denen sich der Orden der Heiligen Madonna der letzten Tage befand, waren den Anwesenden nur zu vertraut.
Das Vorhaben der künstlichen Intelligenzen war eine Blasphemie, daran bestanden ebenso wenig Zweifel wie an der moralischen Berechtigung einer Ablehnung des Angebots. Die entscheidende Frage jedoch, der sie sich stellen mussten, war die nach den Konsequenzen einer derartigen Entscheidung. Verweigerte sich der Orden, würden sich andere Interessenten finden, denen moralische oder gar r eligiös motivierte Skrupel fern lagen. Das Geschäft mit der Unsterblichkeit versprach enorme Renditen, wenn man es geschickt genug aufzog. Die Tücken des Angebots würden kommerzielle Anbieter kaum thematisieren.
Es bedurfte keiner
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