Die zweite Kreuzigung
Karten konsultierte und dasGPS auf die neue Situation einstellte, strich Mohamed unruhig um ihn herum. Das ging Aehrenthal schließlich auf die Nerven, und er fragte ihn unwirsch, was er wolle.
»Sie haben mich vorhin nicht ausreden lassen, Sir. Als ich oben auf der Düne war, die sehr hoch ist, wie Sie verstehen, als ich also dort oben stand, habe ich Ain Suleiman gesehen, denn ich bin sicher, dass es Ain Suleiman ist, was meine Augen gesehen haben, Sir. Ich ließ meine Augen weiter über die Wüste gleiten, und da habe ich östlich von uns Fahrzeuge entdeckt. Ich kann nicht sagen, wie viele es sind, denn einige waren noch hinter den Dünen, und die, die ich gesehen habe, sind eine Minute später wieder verschwunden. Ich habe noch lange dort oben gestanden, aber sie tauchten nicht wieder auf. Vielleicht ist es eine andere Expedition. Sie sind ein, zwei Tage hinter uns.«
Aehrenthal zuckte zunächst nur die Achseln. Viele Expeditionen strichen in der Gegend herum. Wenn er es aber recht bedachte, so hatte man ihm verlässlich gesagt, dass sich kaum eine in diese Richtung traute. Hier gab es nichts zu holen, so glaubte man zumindest.
»Danke«, sagte er. »Nimm mein Fernglas und steige noch einmal hinauf. Sieh nach, ob du sie wieder entdeckst. Komm nach fünfzehn Minuten herunter. Ich will nach Ain Suleiman, ohne noch mehr Zeit zu verlieren.«
Sarah hatte es wie einen Seemann nach einer langen Reise auf dem Sandmeer abgetrieben. Auf der Flucht vor dem Wasser hatte sie höher und höher steigen müssen. Aber das geschah im Dunkeln, und als sie nach unruhigem Schlaf wieder aufwachte, fand sie sich in einer völlig fremden Gegend wieder. Unglücklicherweise war sie zwischen hohe Dünen geraten, die ihr nach allen Seiten die Sicht versperrten.
Schmerzhaft wurde ihr bewusst, dass sie weder Wasser noch etwas zu essen bei sich hatte, nicht einmal einen Kompass. Ihre Orientierungskunst beschränkte sich darauf, was sie in ihrem ersten Studienjahr auf dem Land in Oxfordshire gelernt hatte. Mit Hilfe der Sonne konnte sie grob die vier Himmelsrichtungen bestimmen. Sie war aber nicht in der Lage, einen Weg durch die Dünen zu finden – weder nach Kufra zurück noch weiter vorwärts zu einer Stadt, die seit Jahrzehnten verschwunden war und vielleicht längst unter dem Sand begraben lag.
Nach der Nacht, die sie in nassen Kleidern verbracht hatte, taten ihr alle Glieder weh. Jede Bewegung verursachte heftigen Muskelschmerz, und sie befürchtete, einen Krampf zu bekommen. Aber sie wusste, dass sie sich bewegen musste. Einfach liegen zu bleiben hätte ihren sicheren Tod bedeutet. Sie hatte keine Vorstellung, wie lange es dauern würde. Die Sonne war hier auch im Winter sehr heiß, und sie konnte sich nicht vor ihr schützen. Schon begannen ihre Strahlen unangenehm zu stechen.
Sie prüfte den engen Horizont um sich her, um herauszufinden, welche der vielen Dünen wohl am höchsten aufragte. Das war gar nicht leicht. Schließlich entschied sie, dass es kaum eine Rolle spielte, ob sie die allerhöchste bestieg oder nicht. Es genügte, die ihr am nächsten liegende zu erklimmen und von dort Ausschau zu halten, ob es einen Weg in die Sicherheit gab. Wenn sie Glück hatte, erblickte sie vielleicht die Expedition und konnte auf sie zugehen. Man suchte sie bereits, das wusste sie genau. Ethan würde nicht aufgeben, bis er sie fand.
Unter Qualen kam sie auf die Beine und begann steif die ockerfarbene Düne zu ihrer Rechten hinaufzusteigen.
Die Regenflut war nicht nur durch die Wadis geschossen und hatte alles in ihrem Weg mitgerissen, sondern auch Sand von vielen Dünen herabgespült und so die Landschaft auf ihre Weise verändert. Ethans Expedition hatte nicht auf die Richtung geachtet, sondern war in die Dunkelheit gebraust, laut betend, den Motoren das Höchste abverlangend, um den Fluten zu entkommen.
Nun sahen die Männer zu, wie das Wasser im durstigen Sand versickerte oder unter den heißen Strahlen der Sonne verdampfte, die bereits durch die Lücken zwischen den Dünen schaute. Der Himmel war aufgeklart. Über dem Sand hing ein Dunstschleier, der der ganzen Umgegend einen unheimlichen, unsicheren Charakter verlieh. Dies war jetzt ein Ort, wo Geister zwischen den Welten der Menschen und Engel hin und her wanderten.
Während Ayyub die zwei obligatorischen und die zwei freiwilligen Niederwerfungen seiner Morgenandacht vollzog, holten Ethan und Gavril die Navigationsinstrumente hervor und versuchten festzustellen, wo sie
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