Die zweite Kreuzigung
schon knöcheltief, stieg höher und höher. Sie musste Ethan finden und die Männer vor der Gefahr warnen, in der sie sich befanden. Menschen starben, weil sie an einem Ort von einer Springflut fortgerissen wurden, an dem sie nie im Leben Wasser erwartet hätten.
Unten im Wadi hatte man die Gefahr bereits erkannt. Ayyub hatte alle geweckt, als die ersten Tropfen auf die Zelte fielen. Sekunden später lief schon das erste Wasser in den Wadi, als die Mönche noch ganz benommen aus den Zelten wankten.
»Lasst die Zelte stehen«, schrie Ayyub. »Rein in die Wagen und weg von hier!« Ethan konnte Sarah nirgendwo entdecken. Er packte Ayyub beim Arm, als der an ihm vorbeilief.
»Hast du Sarah gesehen?«
»Die Frau? Ja, sie ist bei den beiden Mönchen Claudiu und dem anderen.«
»Wo sind sie? Schnell!«
Ayyub sah, wie Gavril in den Jeep sprang, den er mit Ethan teilte. Er schaltete den Motor ein.
»Dafür ist jetzt keine Zeit!«, rief Ayyub. »Die Flut spült uns alle davon!«
Er packte seinerseits Ethan am Arm, zwang ihn in den Jeep, bevor er selber aufsprang. Als Gavril sah, dass alle drin waren, trat er aufs Gaspedal. Einen Moment waren sie zu Tode erschrocken, als die Räder durchdrehten und in dem nassen Sand keinen Halt fanden. Dann aber zogen die Hinterräder an, der Motor heulte schrecklich auf, und der Jeep machte einen Satz in die Dunkelheit. Hinter ihnen kamen auch das zweite und das dritte Fahrzeug in Bewegung. Tosend brauste das Wasser durch das Wadi.
ACHTUNDZWANZIGSTES KAPITEL
Nach dem Regen
Es regnete zwei Stunden lang. Es goss wie aus Kannen, dann war plötzlich alles zu Ende, als hätte jemand einen riesigen Wasserhahn zugedreht. Es war immer noch dunkel, und in den Niederungen standen tiefe Wasserlachen und warteten auf Unvorsichtige.
Die Nacht dauerte noch mehrere Stunden, die alle in den Jeeps verbrachten, wo sie im Sitzen ein wenig Schlaf zu finden suchten.
Im Osten, zuerst über Libanon und Israel und dann längs der westlichen Wüste Ägyptens erhob sich der Feuerball über dem vom Regen durchtränkten Sand und leckte mit seinen Strahlen das Wasser an der Oberfläche rasch fort. Zarte Pflänzchen erwachten in der Wüste zu kurzem Leben. Springmäuse kamen aus ihren Löchern und tollten im Sand umher. Langohrige Wüstenfüchse strichen über die Dünen auf der Suche nach Beute. Weit oben überquerte ein Flugzeug mit brummenden Motoren die Wüste von Nord nach Süd.
»Egon«, sagte Iorghiu Bogoescu, Aehrenthals Stellvertreter, als er diesen aus dem tiefen Schlaf weckte, in den er während des Regengusses gefallen war. »Das Unwetter ist vorüber. Mohamed will mit Ihnen sprechen. Er sagt, es sei dringend.«
Aehrenthal gähnte und streckte sich.
»Ich muss erst mal pissen«, sagte er dann, öffnete die Tür und trat hinaus. Er ging zur Seite, öffnete die Hose und ließ einen Strahl übelriechenden Urins gegen den Dünenhangklatschen. Als er zu den Wagen zurückkam, erwartete sein Führer Mohamed ihn bereits.
»Guten Morgen, Exzellenz«, murmelte er. Er hielt seine Hände auf dem Rücken, weil er nicht die eines Mannes drücken wollte, der gerade im Stehen uriniert und sein Organ auf die schmutzige Art gehalten hatte, wie die Ungläubigen es taten.
»Iorghiu sagt, du hättest mir etwas zu melden.«
Der Führer nickte. Er war ein junger Tuareg aus Ghadames namens Mohamed ag Ewangaye. Sein Gesicht hatte er noch niemandem in der Gruppe enthüllt, aber sein scharfer Blick sagte fast ebenso viel über ihn aus wie eine Nase oder ein Mund es hätten tun können. Er lebte seit mehreren Jahren in Kufra und führte abenteuerlustige Europäer tief in die Wüste, wo sie die Höhle der Schwimmer sehen oder Schlachtfelder des Zweiten Weltkrieges aufsuchen wollten. Er hatte von Ain Suleiman gehört und dass dort Tuareg leben sollten, wusste aber nichts von Wardabaha.
»Ich bin jene Düne hinaufgestiegen, Sir.« Er wies auf die hohe Düne zu ihrer Rechten. »Bis ganz nach oben. Ich wollte sehen, wie die Landschaft nach dem Regen aussieht und ob es Gefahren auf unserem Weg geben könnte. Aber das Erste, was ich erblickt habe, war eine Oase etwa sieben Kilometer westlich von hier. Ich bin sicher, es ist Ain Suleiman. Salomos Quelle. Wir können sie noch diesen Vormittag erreichen,
insha’ allah
.«
Aehrenthal nahm die Nachricht gelassen auf. Er fühlte sich am Ziel.
»Sag es auch den anderen«, befahl er. »Wir brechen auf, wenn alle mit dem Frühstück fertig sind.«
Während Aehrenthal nun
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