Die zweite Kreuzigung
Als er sich wieder in der Gewalt hatte, wagte er ein kleines Lächeln.
»Aber ich selber«, sagte er, »bin auch kein schlechter Koch.«
Sie musste grinsen.
»Tatsächlich?«
Ihr skeptischer Ton weckte in ihm Erinnerungen an verbrannten Toast und versalzenes Rührei. Er schüttelte den Kopf.
»Wenn ich mir Mühe gebe, bringe ich mit Ach und Krach gebackene Bohnen auf Toast zustande.«
Allein bei der Vorstellung verzog sie das Gesicht.
»Wenn das so ist, solltest du ein Dankgebet zum Himmel schicken, denn ich bin eine gute Köchin. Cordon bleu mache ich mit links. Zweifellos würde es bei dir gebackeneBohnen auf Toast zum Frühstück, Mittag, Abendessen und als spätes Nachtmahl geben. Dass du nicht kochen kannst, ist sehr beruhigend für mich. Ich mag keine Männer, die etwas besser können als ich. Am Ende tust du mir noch leid, und ich heirate dich. Wieso hast du nie gelernt …«
Sie stockte, als ihr bewusst wurde, was sie da gerade geplappert hatte.
»Tut mir leid«, sagte sie. »Das war dumm von mir. Ich hätte erst nachdenken sollen, bevor ich meine große Klappe aufmache.«
»Schon gut. Das ist jetzt acht Jahre her. Da warst du noch ein Teenager.«
»Aber ich kann mich gut an Abi erinnern. Sie war so schön. Es hat uns alle sehr mitgenommen, als …«
»Es war für viele ein Schock. Für die Familie, für ihre Freunde.«
»Stimmt es, dass du sie gefunden hast?«
»Nicht direkt. Aber mehr oder weniger. Ich musste sie identifizieren.«
Abi war an einem Sommerabend, als sie in einem Park in der Nähe ihrer Wohnung joggte, vergewaltigt und ermordet worden. Ethan war als erster Kriminalbeamter am Tatort gewesen. Ein Streifenwagen, der an dem abgeschiedenen Ort vorbeifuhr und sie fand, hatte ihn gerufen. Er war auf eine Fremde eingestellt gewesen und blickte nun in das Gesicht seiner toten Frau, von der er sich erst vor zwei Stunden zum Dienst verabschiedet hatte. Als er jetzt den Großvater ermordet in seinem Arbeitszimmer gefunden hatte, war alles wieder hochgekommen.
Obwohl er zunächst so ablehnend reagiert hatte, war er froh, dass Sarah bei ihm bleiben wollte. Die Ermittlungenin dem Mordfall liefen bereits auf vollen Touren, was Scharen von Polizistinnen und Polizisten im ganzen Kreis um das Weihnachtsfest brachte. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als einer von ihnen zu sein. Aber bei einem Fall in der eigenen Familie zu ermitteln stand außer Frage. Seine Erfahrung sagte ihm, dass er zum engsten Kreis der Verdächtigen gehörte.
»Wann willst du essen?«, fragte Sarah.
»Warum nicht gleich? Ich habe Hunger. Den ganzen Tag habe ich so gut wie nichts zu mir genommen. In diesem Häuschen waren drei Familien mit Kindern untergebracht, in der Küche müssten also genügend Vorräte sein.«
»Daran habe ich noch gar nicht gedacht.« Sie runzelte die Brauen. »Das können wir doch nicht einfach verderben lassen, besonders an solchen Feiertagen. Meinst du nicht, dass eine Wohltätigkeitsorganisation es gebrauchen kann? Und was ist mit der Küche im großen Haus?«
Der Sessel war so tief und weich, dass Ethan Mühe hatte, auf die Beine zu kommen.
»Mit der großen Küche wird es schwieriger, ich müsste mit einem von der Polizei reden. Hier ist es einfacher. Die Sachen können alle noch einem guten Zweck dienen. Wenn nur jemand sie bei diesem Schnee abholt.«
Nach ein paar Telefonaten versprach ein Obdachlosenheim in Cheltenham, noch am Abend einen Wagen zu schicken. Die Vorräte in der großen Küche wollte die Polizei zur Heilsarmee transportieren. Ethan und Sarah gingen in die Küche, wo sie beiseitelegten, was sie selber brauchten, und den größten Teil in Kartons verpackten.
Dann suchte Sarah etwas für das gemeinsame Essen zusammen. Sie fand eine Schachtel Reis, große Garnelen, Käse und eine Flasche Pino Grigio.
»Wie wär’s mit einem Risotto?«, fragte sie. »Hier sind zwar nur Brühwürfel, aber ansonsten ist alles da, um einen halbwegs anständigen zu machen.«
Er nickte und bot seine Hilfe an.
»Ethan«, sagte sie mit Nachdruck, »in jeder guten Familienküche gilt eine eiserne Regel: Ein Koch ist genug. Setz dich dort drüben hin und unterhalte mich.«
Sie nahm eine Zwiebel und begann die Haut abzuziehen. Er setzte sich an den Küchentisch und schaute ihr zu. Er konnte immer noch nicht fassen, dass diese Familie, die nicht gerade für die Schönheit ihrer Mitglieder berühmt war, ein so hübsches Wesen hervorgebracht hatte.
»Erzähl mir von dir«, sagte er dann. »Ich
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