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Die zweite Kreuzigung

Die zweite Kreuzigung

Titel: Die zweite Kreuzigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Als Sarah hineinschlüpfte, wurde klar, dass sie damit nicht weit kommen würde. Ethan riss den Rest der Decke in Streifen, wie Ilona ihn geheißen hatte. Sarah setzte sich in einen Sessel, und er band die Pantoffeln fest. Es war nicht gerade eine bequeme Fußbekleidung, aber bis zu dem Pony konnte sie damit gehen und dann den Rest des Weges reiten.
    So geräuschlos wie möglich schlichen sie zu der großen Treppe zurück. Jeden Augenblick konnten sie entdeckt werden. Ethan musste innehalten, um die Batterien in seiner Lampe zu wechseln, wobei ihm Ilona mit ihrer leuchtete. Sarah zitterte, als bringe sie der Ausbruch aus der falschenSicherheit des kleinen Zimmers in noch größere Gefahr.
    Plötzlich heulte – offenbar innerhalb des Schlosses – ein Wolf. Ethan spürte, wie er innerlich erstarrte. Ilona, die Sarah untergehakt hatte und ihr in den unförmigen Schuhen vorwärts half, fuhr zusammen. Sie war ihr Leben lang mit Wölfen vertraut, fürchtete sie aber instinktiv.
    »Wo bin ich?«, fragte Sarah. Seit sie ihr Gefängnis verlassen hatte, begann ihr Kopf wieder zu arbeiten. »Ich weiß, dass ich nicht in England bin. Aber wo dann?«
    Ethan sagte es ihr so konkret, wie er es für angebracht hielt. Sarah hörte ihm zu, verstand auch seine Worte, konnte ihnen aber keinen Sinn entnehmen. Wie war sie nach Rumänien, nach Transsilvanien gekommen? Sie war in Woodmancote gewesen. In einem Kamin hatte Feuer gebrannt. Ethan war an einem düsteren Ort eingeschlossen worden, wo es nach Verwesung roch. An der Wand fiel Ilonas Lichtstrahl auf ein Bild, das ein Gerippe mit einer großen Sense zeigte. Ilona bemerkte Sarahs Blick.
    »Tarokk«
, sagte sie. »Wie heißt das auf Englisch?«
    »Tarot«, antwortete Ethan. »Die dreizehnte Karte des von Wahrsagerinnen benutzten
Major Arcana
. Der Tod.«
    »Woher weißt du solche Sachen, Ethan?«, fragte Sarah. Ihre Stimme klang jetzt fast normal. Als wollte sie ihn necken.
    »Von einer Freundin«, sagte er. »Sie hat vor jeder Entscheidung die Karten befragt. Wir waren nicht lange zusammen.«
    »Ich wundere mich über gar nichts mehr.«
    Vorsichtig stiegen sie die Haupttreppe bis zum ersten Absatz hinab. Da flammte ohne Vorwarnung direkt über ihnen eine Lampe auf, dann eine zweite und noch mehrere, bis dasganze Treppenhaus in elektrischem Licht lag. Es wurde von einem Generator gespeist, flackerte und war nicht sehr hell, aber es reichte aus, um sie sichtbar zu machen, als seien sie auf einer Bühne ins Scheinwerferlicht getreten.
    Eine halbe Minute lang passierte gar nichts. Dann heulte wieder der Wolf, jetzt sehr nah, und Ethan hörte unten Fußgetrappel. Sarah machte sich von Ilona los und presste sich fest an Ethan. Er zog die Pistole aus dem Halfter und verbarg sie hinter seinem Rücken. Nun, da er wusste, was mit Sarah geschehen war und was zweifellos auch Ilona erwartete, würde er nicht zögern, sie zu benutzen.
    Aus dem Seitengang, durch den Ethan und Ilona gekommen waren, traten drei Männer. Zugleich schritt einer die Stufen herab, die sie gerade gegangen waren, und ein fünfter tauchte auf der anderen Seite auf. Sie waren groß, mit kurzgeschorenem Haar und trugen alle eine Art schwarzer Uniform. Ethan blickte sich rasch um. Es waren starke Kerle mit grimmigen Gesichtern, gestählt nicht in Fitness-Studios, sondern eher in den umliegenden Bergen.
    Am Fuße der Treppe erkannte er den Mann, der mit Aehrenthal in Woodmancote gewesen war. Aber nicht Lukács zog seine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Es war der graue Wolf, der an der Leine in Lukács’ Hand zerrte und die Eindringlinge anknurrte.
    Der Kerl rief etwas, ob einen Befehl oder eine Aufforderung, konnte Ethan nicht verstehen. Ilona übersetzte.
    »Er hat gesagt, der Wolf hätte den ganzen Tag nichts zu fressen bekommen. Er wird Ihre Kehle zerfleischen und Sie dann mit Haut und Haaren verschlingen.«
    »Sagen Sie ihm, er soll seine blöden Sprüche lassen. Und fragen Sie ihn, wo Aehrenthal ist.«
    Als sie tat, wie ihr geheißen, ließ Lukács nur ein lautesLachen hören, womit er die anderen ansteckte, denen die Sache wohl Spaß zu machen begann.
    Wieder nahm Lukács das Wort. Von allen Seiten blickten die Porträts, die nun in vollem Licht lagen, auf sie herab. Die Fahnen schienen in einer ganz eigenen Welt und Zeit zu wehen. Ethan sah, wie die ursprünglichen Herren des Schlosses ihnen mit ihren Blicken folgten, ohne Unruhe oder die Begierde der Menge, die nach Blut dürstet. Wenn der Wolf über sie herfiel, dann

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