Die zweite Kreuzigung
war das das römische Publikum, gewohnt, dem Sterben anderer Menschen zuzuschauen.
»Er will, dass Sarah und ich allein zu ihm hinunterkommen sollen«, sagte Ilona. Sie hielt sich tapfer, aber damit hatte sie wohl nicht gerechnet, als sie einwilligte, Ethan zu diesem Schloss zu begleiten. Sarah neben ihr erschauerte und machte sich ganz klein, als könnte sie dadurch unsichtbar werden.
»Sagen Sie ihm, es ist vorbei«, erklärte Ethan fest. »Sagen Sie ihm, dass es keine Vergewaltigungen mehr geben wird. Sagen Sie ihm, wenn er Druck macht, wird jemand sterben. Ich habe keine Zeit für ihn. Eine Frau zu schlagen und ihr Gewalt anzutun ist ein Kapitalverbrechen. Wir verlassen dieses Schloss, gehen nach Sâncraiu und zurück in unser altes Leben. Damit ist die Sache für mich erledigt. Machen Sie ihm das klar.«
Mit unsicherer Stimme übermittelte Ilona dem Mann Ethans Botschaft, so gut sie konnte. Während sie sprach, grinste Lukács in einem fort. Und starrte Ilona dabei an, als schätze er sie ab. Dann verschwand das Grinsen, und er blickte sie an, dass es sie wie heißer Stahl durchfuhr.
Im nächsten Moment flüsterte er dem Wolf etwas zu und ließ ihn von der Leine. Der heulte auf und war mitzwei Sprüngen bei Ethan, das Maul weit aufgerissen, bereit, die Zähne in seine Kehle zu schlagen.
Ethans erster Schuss traf ihn in den Kopf, der zweite in die Brust, als das Tier schon fast über ihm war. Der Wolf wurde mitten im Sprung gestoppt und fiel Ethan direkt vor die Füße, leblos, mit heraushängender Zunge, die sich langsam rot färbte.
Ethan hatte nie gelernt, wie man einen Wolf abwehrt. Aber bei der Polizeiausbildung hatten sie einen Tag lang geübt, was zu tun war, wenn man von einem Kampfhund oder von einem Mann mit einem Pitbull an der Leine angegriffen wurde. Dabei galt eine einfache Regel: Nicht den Mann anschauen, sondern die Hand, die die Leine hält. Genau das hatte Ethan getan.
Äußerlich kühl, wandte er sich Ilona zu.
»Die nächste Kugel ist für ihn. Sagen Sie ihm das. Wenn er uns gehen lässt, bleibt dieser Wolf das einzige Opfer. Wenn nicht, ist er selber schuld.«
Das Töten des Wolfes stieg Ethan zu Kopf. Eine halbe Sekunde später, und das Vieh hätte ihn bei der Gurgel gepackt. Aber da stand er, lebend und unversehrt mit einer Pistole in der Hand. Fast musste er über das Absurde der Szene lächeln. Ohne nachzudenken, schritt er nun die Stufen hinunter, die Beretta auf Lukács gerichtet. Er hatte noch achtzehn Schuss im Magazin. Das stärkte sein Selbstvertrauen.
Auf halbem Wege hörte er plötzlich hinter sich einen Schrei und dann einen zweiten. Er fuhr herum und sah, dass die beiden Männer, die am oberen Ende der Treppe gestanden hatten, heruntergelaufen waren und Sarah und Ilona gepackt hatten. Sie hielten Messer an ihre Kehlen. Von unten brüllte Lukács etwas mit wütender Stimme.
»Sie sollen die Pistole herunternehmen, Ethan, sagt er, oder sie töten mich und verletzen Sarah.«
Ilona versagte vor Angst fast die Stimme. Sarah neben ihr hing ohnmächtig in den Armen des Mannes. Verzweifelt blickte Ethan um sich. Sie saßen in der Falle. Selbst wenn es Ilona gelingen sollte, sich loszureißen und mit ihm zu fliehen, war immer noch Sarah in ihrer Gewalt.
»Ilona«, rief er. »Sagen Sie ihm, wenn er Sie gehen lässt, nehme ich die Waffe weg. Sie sind nur eine Bergführerin. Sie haben mit der Sache nichts zu tun.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Die vergewaltigen mich zuerst. Und dann …?«
Er sah, wie sie zusammenrutschte, als verliere auch sie das Bewusstsein. Der Mann, der sie hielt, packte sie fester, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Nach wie vor hielt er sein Messer dicht an ihre Kehle. Es blitzte auf und kam in Bewegung.
Ethan sah das Blut schon vorher, zumindest schien es ihm später so. Da war plötzlich ungeheuer viel Blut. Aus einer Arterie spritzte es als hellroter Strahl heraus. Es befleckte den Boden und einen der Wappenschilde. Selbst eines der Ahnenbilder wurde bespritzt. Das Ganze lief ohne einen einzigen Laut ab, als habe ein Stummfilm plötzlich Farbe angenommen.
Dann sah Ethan, wie die Arme des Mannes ihren Griff lösten, wie er nach hinten fiel und Ilona weiterhin aufrecht stand, ihr blutiges Jagdmesser in der rechten Hand.
Haben Sie jemals so ein Messer benutzt? Das sieht ja furchterregend aus. Damit können Sie glatt einen Ochsen aufspießen …
Sie hatte es aus der langen Tasche an ihrem Hosenbein gezogen, das Messer mit der 25-cm-Klinge, und
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