Die zweite Kreuzigung
Schwester. Die Brüder waren fünfzehn und dreizehn Jahre alt, die Schwester, ein hübsches Mädchen namens Ecaterina, erst neun. Mit einem Kopfschuss tötete Aehrenthal zuerst das kleine Mädchen. Ein riesiger Aufruhr entstand im Raum. Ilonas Vater, der Aehrenthal die Pistole entreißen wollte, erhielt einen Schuss in die Kehle. Er wankte und begann Blut zu husten. Seine Frau, die, vor Schreck fast von Sinnen, zu ihm laufen wollte, wurde von den Männern auf die Couch geworfen. Die beiden Jungen, die mit ansehen mussten, wie ihre Schwester und ihr Vater erschossen wurden, wimmerten leise.
»Schnauze, ihr zwei! Wenn ich noch einen Pieps von euch höre, seid ihr als Nächste dran!«
Er wandte sich Frau Horváth zu.
»Ich will Antworten!«, herrschte er sie an. »Wenn ich sie nicht kriege, dann erschieße ich deine Jungen. Und wenn du mich hinters Licht führst, komme ich zurück und brenne dieses Haus samt dir und diesen Bastarden bis auf die Grundmauern nieder!«
Die Muter war der Hysterie nahe, aber die Kälte in Aehrenthals Stimme und die unmittelbare Gefahr für ihre beiden Söhne brachten sie wieder zu sich.
»Wohin ist Ilona gegangen?«
Keine Antwort. Sie schaute ihn nur mit aufgerissenen Augen an, ratlos, was sie gegen diesen schrecklichen Zorn unternehmen sollte. Wortlos betete sie zu Gott.
»Ich habe dich gefragt, wo deine Tochter ist. Sie hat Sâncraiu heute verlassen. Wohin ist sie gegangen?«
Er zielte auf den kleineren Jungen, und sie sah in Aehrenthals Blick keine Spur von Mitleid.
Sie konnte nicht antworten. Sie war zwischen der Angst um ihre Söhne und um ihre einzige verbliebene Tochter hin und her gerissen.
Aehrtenthal schoss auch dem Jungen in den Kopf. Der schwankte nicht und fiel auch nicht rückwärts, sondern sank in sich zusammen wie eine Marionette, deren Fäden man zerschnitten hatte. Er hatte nicht einmal schreien können. Sein Bruder zuckte zusammen, fing ihn auf und redete zu ihm, als sei er noch am Leben. Er wusste, dass auch sein Ende nahe war. Der Fernsehapparat, der vor wenigen Minuten noch so viel Fröhlichkeit verbreitet hatte, ratterte vor sich hin wie eine Straßenbahn, die in ihren sicheren Untergang fuhr.
Als Aehrenthal sah, wie verletzlich der Junge war, richtete er seine Pistole nicht auf ihn, sondern auf die Mutter.
»P-P-Putna«, stammelte der Junge. »So hat sie gesagt. Ich wollte noch mit ihr gehen. Wenn ich jetzt nur bei ihr wäre.«
»Wohin in Putna?« Aber er konnte es sich selbst denken.
»Zum … zum K-K-Kloster.«
»Zu wem will sie dort?«
Der Junge konnte nicht antworten, aber Aehrenthal wusste nun Bescheid. Vor vielen Jahren hatte ihm jemand den Namen ins Ohr geflüstert. Er war auf den Grund seines Gedächtnisses gesunken, wo er bis zu dieser Stunde gelegen hatte.
Er streckte die Hand aus und legte sie auf den Kopf des Jungen. Der zuckte zurück, von Furcht und Abscheu erfüllt.
»Gut gemacht«, sagte Aehrenthal. »Es war richtig, dass du mir das gesagt hast. Ich sorge dafür, dass man dich gut behandelt. Dich und deine Mutter. Es ist immer am besten, die Wahrheit zu sagen, besonders wenn jemand sehr wütend ist. Ich war sehr wütend, und ich entschuldige mich dafür.«
Er fuhr dem Jungen durchs Haar, wandte sich dann um und verließ den Raum. Seine Männer warteten an der offenen Tür. Einer, namens Ferenc, war ein junger Mann, von dem er sich noch viel erhoffte. Aehrenthal nahm ihn beiseite.
»Da sind noch zwei übrig«, sagte er. »Leg auch sie um und schaffe die Leichen beiseite. Lass sie irgendwo verschwinden. Ich will keinen Ärger haben.«
Ferenc salutierte und nahm die Pistole aus dem Halfter.
Aehrenthal trat mit seinen Leuten auf die menschenleere Straße hinaus.
»Wir müssen uns noch heute Abend auf den Weg nachPutna machen«, verkündete er. »Mit zwei Wagen und einem halben Dutzend guter Leute. Ihr habt eine Stunde Zeit.«
Sein eigenes Fahrzeug fuhr am Bordstein vor. Als er gerade einsteigen wollte, hörte er hinter sich einen Schuss. Als ihm das Echo noch in den Ohren klang, folgte ein zweiter. Dann herrschte nur noch schreckliches Schweigen, das einen Moment lang über dem Dorf hing, als sei alle Hoffnung von dort geschwunden. Aehrenthals Fahrer startete den Motor und raste durch die leeren Gassen.
EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL
Ein Fremder in fremdem Land
»Es wird Sie nicht überraschen, wenn ich Ihnen sage, dass Egon Aehrenthal ein böser Mensch ist. Dabei fasse ich das Böse im religiösen Sinne auf, Sie vielleicht nicht.
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