Die zweite Kreuzigung
ihnen hatten die Scheite beinahe aufgezehrt und waren in sich zusammengesunken.
»Heute Abend benötige ich zwölf von Ihnen«, sagte er. Dann las er die Namen derer vor, die ihm zur Hand gehen sollten.
In Sâncraiu fuhren sie mit drei Geländewagen ein, die mit Winterreifen und Jagdlampen ausgestattet waren. Die rolltenbis auf den Hauptplatz, wo die Männer ausstiegen. Die starken Motoren ließen sie laufen. Aehrenthal hatte exakte Instruktionen ausgegeben. Jeder seiner Männer war mit einem halbautomatischen Gewehr HK G3 bewaffnet.
Sie schwärmten im Dorf aus. Aehrenthal führte zwei seiner engsten Mitstreiter in das Gasthaus am Rande des Platzes. Darin roch es nach Zigaretten und dem Rauch des Buchenholzfeuers. Raue Männerstimmen redeten durcheinander, eine Frau lachte schrill, und über allem hing eine Wolke von Bierdunst.
Ein alter Mann saß beim Feuer, umringt von Zuhörern, und erzählte wohl alte Geschichten. Aehrenthal erkannte ihn sofort. Es war der Bürgermeister, ein sehr geachteter ehemaliger Soldat namens Bogdan Bogoescu. Er hielt hier jeden Abend Hof, benutzte die Runde, um Meinungen der Einwohner zu erfahren, ihnen seine Sicht auf Angelegenheiten des Dorfes mitzuteilen und in Erinnerungen an das Soldatenleben im Zweiten Weltkrieg zu schwelgen.
Aehrenthal trat an ihn heran.
»He, Alter«, schnarrte er.
Die Leute musterten den Neuankömmling. Die meisten wussten, wer Aehrenthal war, oder konnten es sich denken. Er sprach Rumänisch mit einem Akzent, der in ihren Ohren deutsch klang, und ließ sie seine Verachtung spüren.
Der alte Mann schaute zu Aehrenthal auf wie jemand, der mit seiner Zeit etwas Besseres anzufangen weiß. Er bemerkte die beiden Kerle hinter ihm und die langen Gewehre, die sie bei sich trugen.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er.
Aehrenthals Antwort kam wie aus der Pistole geschossen.
»Ich will den Namen der Person, die den Mann und die Frau in der Jagdhütte westlich meines Schlosses untergebrachthat. Ich denke, es ist eine Frau, und ich will auf der Stelle wissen, wie sie heißt.«
Bogoescu war von Aehrenthals großspurigem Auftritt nicht besonders beeindruckt.
»Keine Ahnung, wen Sie meinen«, sagte er. »Ich war noch nie dort oben.«
Diese Antwort hatte Aehrenthal erwartet. Er zögerte keinen Augenblick. Er legte sein Gewehr an und schoss dem alten Mann ein Loch in den Kopf. Blut spritzte nach allen Seiten und klatschte in roten Flecken auf Möbel, Kleidung und Gesichter der Umstehenden. Teile der Schädeldecke flogen in den Kamin und knallten gegen die Wand. Die Frau kreischte auf und fiel in Ohnmacht. Alle schrien durcheinander. Nur Aehrenthal stand stocksteif da. Niemand würde es wagen, ihn anzugreifen. Für diese Dörfler mit ihrer Lebensweise, ihren Vorurteilen, ihrem Desinteresse für Höheres und ihrem Mangel an Respekt für Männer wie ihn hatte er nur Verachtung übrig.
Er drehte den Kopf und sprach den ersten Mann an, auf den sein Blick fiel.
»Vielleicht hast du ein besseres Gedächtnis als der Alte hier. Du siehst, dass ich ungeduldig bin.«
Der Mann begann heftig zu zittern und machte sich die Hose nass. Die anderen blickten gehetzt um sich, als suchten sie nach einem Fluchtweg, da Aehrenthals Begleiter die Tür blockierten.
»Ilona«, sagte eine Stimme aus dem Hintergrund. »Sie heißt Ilona. Familienname Horváth.«
Aehrenthal wandte sich dem Mann zu, der gesprochen hatte.
»So ist es gut«, sagte er. »Du kommst mit und führst mich zu ihrem Haus.«
Der Mann wollte zurückweichen, aber einer von Aehrenthals Begleitern stürzte zu ihm hin und zerrte ihn mit sich.
Das Haus stand in einer kurzen Gasse zwischen der Kirche und der Bäckerei. Es war frisch gekalkt. Eine Straßenlaterne in der Nähe warf ein trübes Licht darauf, als wolle es die geweißte Fassade noch verschönern. Hinter den Fenstern auf der einen Seite brannte Licht und der Ton eines Fernsehapparates war zu hören. Die Leute schauten wohl
Te crezi mai destept?
im Ersten Programm.
Aehrenthal hatte vier Männer bei sich. Einer war ein Bodybuilder aus Budapest, ein riesiger Kerl, den sie Samson nannten. Es sah aus, als lehne er sich nur gegen die Tür. Die gab unter seinem Gewicht und seiner Kraft nach und fiel krachend zu Boden. Samson gab Aehrenthal den Weg frei, der, Pistole im Anschlag, eintrat.
Die ganze Familie war im Wohnzimmer versammelt. Sie hatte gerade zu Abend gegessen und widmete sich jetzt gemeinsam dem Fernsehen: Ilonas Vater, Mutter, zwei Brüder und eine
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