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Die zweite Stufe der Einsamkeit

Die zweite Stufe der Einsamkeit

Titel: Die zweite Stufe der Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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Meinung ändern würde. Wie sie auf mich warten würde. Und so weiter.
    Aber das war mehr Wunschtraum. Es war, bevor ich hier draußen mit mir ins reine gekommen bin. Ich weiß jetzt, daß sie nicht warten wird. Sie braucht mich nicht, sie hat mich nie gebraucht.
    Deshalb gefällt es mir nicht sonderlich, von ihr zu träumen. Das ist schlecht. Was ich auch mache – wenn ich zurückkomme, darf ich Karen nicht aufsuchen. Ich muß wieder ganz von vorn anfangen. Ich muß jemanden finden, der mich wirklich braucht. Und ich werde sie nicht finden, wenn ich versuche, in mein altes Leben zurückzuschlüpfen.
     
    18. Juli
    Ein Monat, seit meine Ablösung die Erde verlassen hat. Die Charon müßte inzwischen im Gürtel sein. Noch zwei Monate.
     
    23. Juli
    Jetzt Alpträume. Gott steh mir bei.
    Ich träume wieder von der Erde. Und Karen. Ich kann nicht damit aufhören. Jede Nacht ist es dasselbe.
    Es ist eigenartig, Karen einen Alptraum zu nennen. Bisher ist sie immer ein Traum gewesen. Ein schöner Traum, mit ihrem langen, weichen Haar und ihrem Lachen – und dieser komischen Art zu lächeln, die sie hatte. Aber diese Träume waren immer Wunschträume. In diesen Träumen hat mich Karen gebraucht, sie wollte mich, und sie liebte mich.
    Die Alpträume haben den Stich der Wahrheit an sich. Sie sind alle gleich. Es ist immer eine Wiederholung: Karen und ich, an jenem letzten Abend.
    Es war ein schöner Abend, wie alle Abende damals. Wir aßen in einem meiner Lieblingsrestaurants und gingen ins Kino. Wir haben unbeschwert miteinander geredet, über viele Dinge.
    Nur später, wieder bei ihr zu Hause, kehrte ich zur Förmlichkeit zurück. Als ich ihr zu sagen versuchte, wieviel sie mir bedeutet. Ich weiß noch, wie ungeschickt und dumm ich mir vorgekommen bin, wie ich mich angestrengt habe, die Dinge herauszubekommen, wie ich über meine eigenen Worte gestolpert bin. So vieles kam falsch heraus.
    Ich weiß noch, wie sie mich danach angesehen hat. Seltsam. Wie sie versucht hat, mir die Illusionen zu nehmen. Behutsam. Sie war immer behutsam. Und ich habe in ihre Augen gesehen und ihrer Stimme gelauscht. Aber ich habe keine Liebe entdeckt, kein Bedürfnis. Nur … nur Mitleid, schätze ich.
    Mitleid für einen Knilch, der sich nicht richtig ausdrücken konnte und der das Leben bisher an sich hatte vorbeiziehen lassen, ohne es zu berühren. Nicht, weil er das nicht wollte. Sondern weil er Angst davor hatte und nicht wußte, wie. Sie war auf diesen Knilch aufmerksam geworden, sie hatte ihn geliebt; auf ihre Art – sie liebte jeden. Sie hatte versucht zu helfen, ihm etwas von ihrem Selbstvertrauen zu geben, etwas von dem Mut und dem Schwung, mit denen sie sich dem Leben stellte. Und bis zu einem gewissen Grad hatte sie das auch getan.
    Doch nicht genug. Der Knilch mochte es, den Tag herbeizuträumen, an dem er nicht mehr allein sein würde. Und als Karen versuchte, ihm zu helfen, dachte er, sie sei sein lebendig gewordener Traum. Oder verführte sich dazu, das zu denken. Der Knilch hat die Wahrheit natürlich die ganze Zeit über geahnt, aber er hat sich – was das anging – selbst belogen.
    Und als der Tag kam, an dem er nicht mehr lügen konnte, war er noch verwundbar genug gewesen, um verletzt zu sein. Er war nicht der Typ, dem das Narbengewebe leicht wuchs. Er hatte nicht den Mut, es aufs neue mit jemand anderem zu versuchen. Also ist er davongelaufen.
    Ich hoffe, die Alpträume hören auf. Ich kann sie nicht ertragen, Nacht für Nacht.
    Ich kann es nicht ertragen, diese Stunde in Karens Apartment immer wieder neu zu erleben.
    Ich hatte jetzt vier Jahre Zeit hier draußen. Ich habe mich intensiv selbst beobachtet. Ich habe geändert, was mir nicht gefallen hat, oder es wenigstens versucht. Ich habe versucht, das Narbengewebe zu kultivieren, das Selbstvertrauen zu sammeln, das ich brauche, um mich den neuen Ablehnungen stellen zu können, auf die ich treffen werde, bevor ich Anerkennung finde. Aber ich kenne mich jetzt verdammt gut, und ich weiß, daß es nur ein Teilerfolg war. Es wird immer Dinge geben, die weh tun, Dinge, denen ich nie so werde gegenübertreten können, wie ich das gerne möchte.
    Erinnerungen an diese letzte Stunde mit Karen gehören zu diesen Dingen. Gott, ich hoffe, die Alpträume hören auf.
     
    26. Juli
    Weitere Alpträume. Bitte, Karen. Ich hab’ dich geliebt. Laß mich in Ruhe. Bitte.
     
    29. Juli
    Gestern kam ein Ringschiff. Gott sei Dank. Ich hab’ eins gebraucht. Es hat mir geholfen, meine

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