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Die zweite Stufe der Einsamkeit

Die zweite Stufe der Einsamkeit

Titel: Die zweite Stufe der Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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zugestoßen? Kommt sie?
     
    22. September
    Ich bin wieder hinausgegangen.
    Gott, so schön, so einsam, so gewaltig. Gespenstisch, das ist das Wort, das ich gesucht habe. Die Schönheit dort draußen ist gespenstisch. Manchmal glaube ich, ich bin ein Dummkopf, wenn ich zurückreise. Ich gebe die gesamte Ewigkeit auf für eine Pizza und einen Fick und ein freundliches Wort.
    NEIN! Was, zur Hölle, schreibe ich da! Nein. Ich kehre zurück, natürlich werde ich zurückkehren. Ich brauche die Erde, ich vermisse die Erde, ich will die Erde. Diesmal wird es anders sein.
    Ich werde eine andere Karen finden, und diesmal werde ich es nicht vermiesen.
     
    23. September
    Ich bin krank. Gott, ich bin wirklich krank! Die Dinge, die ich gedacht habe. Ich hab’ geglaubt, ich hätte mich geändert, aber jetzt bin ich nicht mehr sicher. Ich ertappe mich dabei, daß ich ernsthaft daran denke zu bleiben, für einen weiteren Zeitraum zu unterschreiben. Ich will nicht. Nein. Aber ich glaube, ich habe noch immer Angst – vor dem Leben, vor der Erde, vor allem.
    Beeil dich, Charon. Beeil dich, bevor ich meine Meinung ändere.

 
    24. September
    Karen oder der Strudel? Erde oder Ewigkeit?
    Verdammt, wie kann ich das nur denken? Karen! Erde! Ich muß Mut haben, ich muß Schmerz riskieren, ich muß das Leben kosten.
    Ich bin kein Fels. Oder eine Insel. Oder ein Stern.
     
    25. September
    Kein Zeichen von der Charon. Eine volle Woche zu spät. Das kommt manchmal vor. Aber nicht sehr oft. Sie wird bald ankommen. Ich weiß es.
     
    30. September
    Nichts. Jeden Tag passe ich auf und warte. Ich lausche meinen Ortungsgeräten und gehe hinaus, um nachzusehen, und marschiere den Ring entlang; hin und her. Aber nichts. Eine derartige Verspätung hat sie noch nie gehabt. Was stimmt da nicht?
     
    3. Oktober
    Ein Schiff heute. Nicht die Charon. Anfangs, als es die Ortungsgeräte erfaßten, habe ich geglaubt, sie sei es. Ich habe laut genug geschrien, um den Strudel zu wecken. Aber dann sah ich hin, und mein Mut verging. Es war zu groß, und es kam direkt heran, ohne zu verlangsamen.
    Ich bin hinausgegangen und ließ es durch. Und danach bin ich lange draußen geblieben.
     
    4. Oktober
    Ich will nach Hause. Wo sind sie? Ich verstehe das nicht. Ich verstehe das nicht.
    Sie können mich nicht einfach hierlassen. Sie können nicht. Sie werden mich nicht einfach hierlassen.
     
    5. Oktober
    Ein Schiff heute. Wieder ein Ringschiff. Ich habe mich immer auf sie gefreut. Jetzt hasse ich sie, weil sie nicht die Charon sind. Aber ich lasse es durch.
     
    7. Oktober
    Ich habe ausgepackt. Es kommt mir idiotisch vor, aus Koffern zu leben, wo ich doch nicht weiß, ob die Charon kommt oder wann.
    Trotzdem halte ich noch immer nach ihr Ausschau. Ich warte. Sie kommt, das weiß ich. Wurde nur irgendwo aufgehalten. Ein Notfall im Gürtel vielleicht.
    Es gibt eine Menge Erklärungen.
    Mittlerweile erledige ich langweilige Arbeiten überall im Ring. Ich habe ihn für meine Ablösung nie richtig in Ordnung gebracht. Die ganze Zeit viel zu beschäftigt, die Sterne zu beobachten, anstatt zu tun, was ich hätte tun sollen.
     
    8. Januar (oder so)
    Dunkelheit und Verzweiflung.
    Ich weiß, warum die Charon nicht gekommen ist. Sie ist nicht fällig. Der Kalender war völlig verstellt. Es ist Januar, nicht Oktober. Und ich habe seit Monaten nach der falschen Zeit gelebt. Sogar den 4. Juli am falschen Tag gefeiert.
    Ich hab’s gestern entdeckt, als ich im ganzen Ring die Aufräumarbeiten machte. Ich wollte sichergehen, daß alles richtig läuft. Für meine Ablösung.
    Nur, es wird keine Ablösung geben.
    Die Charon ist vor drei Monaten angekommen. Ich … ich habe sie vernichtet.
    Krank. Es war krankhaft. Ich war krank, verrückt. Sobald es getan war, ging es mir auf. Was ich getan hatte. O Gott. Ich habe stundenlang geschrien.
    Und dann habe ich den Kalender zurückgestellt. Und vergessen. Vielleicht absichtlich. Vielleicht konnte ich die Erinnerung nicht ertragen. Ich weiß nicht. Alles, was ich weiß, ist, daß ich vergaß.
    Aber jetzt fällt es mir wieder ein. Jetzt erinnere ich mich an alles.
    Die Ortungsgeräte hatten mir das Nahen der Charon angekündigt. Ich war draußen und wartete. Paßte auf. Versuchte, genug von den Sternen und der Dunkelheit mitzubekommen, daß es mir für immer bewahrt blieb.
    Durch diese Dunkelheit kam die Charon. Sie wirkte so langsam im Vergleich zu den Ringschiffen. Und so klein. Sie war meine Rettung, meine Ablösung, aber sie sah

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