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Die zweite Stufe der Einsamkeit

Die zweite Stufe der Einsamkeit

Titel: Die zweite Stufe der Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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er kam ohne Beanstandung durch die Inspektion und ging weiter, den langen Korridor entlang, auf Major Gradys Büro zu. Ein Drittel des Weges hatte er zurückgelegt, als sich der erste Satz Fesselstrahlen fest um seine Handgelenke schloß. Er sträubte sich im gleichen Augenblick, als er die unsichtbare Berührung auf der Haut spürte – aber die Fesselstrahlen hielten ihn fest. Andere, durch sein Vorbeikommen automatisch ausgelöst, kamen hinzu, je weiter er den Korridor entlangging.
    Kagen fluchte im Flüsterton vor sich hin und bekämpfte den Impuls, sich dagegen zu wehren. Er haßte es, von Fesselstrahlen umklammert zu werden, aber das entsprach den Vorschriften, wenn man einen hohen Offizier sehen wollte.
    Die Tür öffnete sich vor ihm, und er trat hindurch. Augenblicklich ergriffen ihn eine ganze Reihe von Fesselstrahlen und machten ihn bewegungslos. Ein paar veränderten sich leicht, und er wurde zu starrem Stillstand gebracht, obwohl seine Muskeln nach Widerstand schrien.
    Major Carl Grady arbeitete ein paar Fuß entfernt an einem überhäuften Holzschreibtisch; er kritzelte etwas auf ein Blatt Papier. Ein großer Papierstapel ruhte neben seinem Ellenbogen, eine altmodische Laser-Pistole lag als Papierbeschwerer obenauf.
    Kagen erkannte den Laser. Es war eine Art Erbstück, das seit Generationen in Gradys Familie weitergegeben wurde. Es hieß, daß einer seiner Vorfahren sie zu Hause auf der Erde in den Feuerkriegen des frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts benutzt hatte. Angeblich war das Ding trotz seines Alters noch in funktionsfähigem Zustand.
    Nach mehreren Schweigeminuten legte Grady endlich seinen Füller nieder und sah zu Kagen auf. Er war ungewöhnlich jung für einen hohen Offizier, aber sein ungebändigtes graues Haar ließ ihn älter aussehen als er war. Wie alle hohen Offiziere war er auf der Erde geboren; schwach und langsam im Vergleich zu den Sturmtruppkriegern von den Kriegswelten mit dichter Extrem-Schwerkraft: Wellington und Rommel.
    „Machen Sie Ihre Meldung“, sagte Grady knapp. Wie immer spiegelte sein mageres, blasses Gesicht ungeheuere Langeweile.
    „Stabsoffizier John Kagen, Sturmtruppen, Terranisches Expeditionskorps.“
    Grady nickte; hörte gar nicht richtig hin. Er öffnete eine seiner Schreibtischschubladen und zog ein Blatt Papier heraus.
    „Kagen“, sagte er, wobei er mit dem Papier herumspielte, „ich denke, Sie wissen, weshalb Sie hier sind.“ Er klopfte mit einem Finger auf das Papier. „Was hat das hier zu bedeuten?“
    „Genau das, was daraufsteht“, erwiderte Kagen. Er versuchte, sein Gewicht zu verlagern, aber die Fesselstrahlen hielten ihn starr.
    Grady bemerkte es und machte eine ungeduldige Geste. „Ganz ruhig“, sagte er. Die meisten Fesselstrahlen erloschen mit einem Knacken und gaben Kagen frei, er konnte sich bewegen, wenn auch nur mit halber Normalschnelligkeit. Er verbeugte sich erleichtert und grinste.
    „Meine Dienstzeit läuft in zwei Wochen ab, Major. Ich habe nicht vor, mich wieder neu einzuschreiben. Deshalb habe ich um Beförderung zur Erde ersucht. Das ist alles.“
    Gradys Augenbrauen bogen sich um den Bruchteil eines Zolls hoch, aber die dunklen Augen darunter blieben gelangweilt.
    „Wirklich?“ fragte er. „Sie sind jetzt schon seit beinahe zwanzig Jahren Soldat, Kagen. Warum sich zur Ruhe setzen? Ich fürchte, das verstehe ich nicht.“
    Kagen zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Ich werde alt. Vielleicht werde ich auch nur des Lagerlebens überdrüssig. Alles beginnt, langweilig zu werden; ein verdammtes Dreckloch nach dem anderen einnehmen. Ich möchte etwas anderes. Ein bißchen Aufregung.“
    Grady nickte. „Ich verstehe. Aber ich glaube kaum, daß ich mit Ihnen übereinstimme, Kagen.“ Seine Stimme war sanft und überzeugend. „Ich denke, Sie verkaufen das TEK unter Wert. Es steht Aufregung bevor – Sie müssen uns nur eine Chance geben.“ Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und spielte mit einem Bleistift, den er aufgenommen hatte. „Ich werde Ihnen etwas erzählen, Kagen. Sie wissen, wir stehen jetzt schon seit fast drei Jahrzehnten mit dem Hranganischen Imperium im Krieg. Direkte Konfrontationen zwischen uns und dem Feind gab es bisher nur selten, und das vor langer Zeit. Wissen Sie, warum?“
    „Sicher“, sagte Kagen.
    Grady ignorierte ihn. „Ich werde Ihnen sagen, warum“, fuhr er fort. „Bisher hat sich jeder von uns darum bemüht, seine Position durch die Eroberung dieser kleinen Welten in den

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