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Die zweite Stufe der Einsamkeit

Die zweite Stufe der Einsamkeit

Titel: Die zweite Stufe der Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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nachzukommen. Becker beobachtete sie und lächelte ihnen zu. Aber innerlich fühlte er, wie gewöhnlich, eine vage Abneigung gegen die ganze Sache.
    Selbst in diesem verdunkelten Wohnraum bot er eine viel imposantere Gestalt als der Arzt, und er wußte es. Er war groß und breit in den Schultern, und die weiche, graue Uniform, die er trug, unterstrich seinen athletischen Körperbau. Er hatte ein klassisches Profil, ein energisches Kinn und dichtes, schwarzes Haar mit einem Hauch von Grau an den Schläfen. Und zu seinen stahlblauen Augen paßten das Leder seiner Stiefel und seines Gürtels und der Schal, der unter dem offenen Kragen lässig um den Hals geknotet war, einfach perfekt.
    Er sah ganz so aus wie ein lebendig gewordenes Rekrutierungsplakat von SPACE. In letzter Zeit hatte er dies bedauert. Es hatte Zeiten gegeben in den letzten paar Jahren, da hätte er alles gegeben für eine Hakennase oder ein fliehendes Kinn oder einen zurückweichenden Haaransatz.
    Der Holowerfer war aufgebaut und summte, und das Publikum wartete. Becker schob seine Gedanken beiseite und drückte das erste Dia ein.
    In dem Kreis, den die Frauen geräumt hatten, erschien ein Würfel aus tieferer Dunkelheit. Dunkelheit, von Sternen begrenzt. In einer Ecke des Würfels schwebte die Erde in schweigender, blaugrüner Majestät. Aber die Mitte des Hologramms wurde von dem Schiff eingenommen. Eine dicke, silberne Zigarre mit dickem Wanst. Oder ein schwangerer Torpedo. Es gab viele Möglichkeiten, das Schiff zu beschreiben, und die meisten davon waren zum einen oder anderen Zeitpunkt gebraucht worden.
    Anerkennendes Gemurmel erklang vom Publikum her. Das Holodia war sehr real und sehr eindrucksvoll. Becker lächelte und begann glatt. „Dies hier ist die Sternenwind , einer der vier Sternenkreuzer von SPACE. Die Kreuzer sind stellare Forschungsschiffe, jeder mit einer Besatzung von mehr als hundert Leuten. Antiraum-Sprunggeneratoren verleihen ihnen mehrfache Lichtgeschwindigkeit. Diese vier zerbrechlichen Schiffe führen, während ich hier zu ihnen spreche, die Bestimmung unserer Rasse aus und machen den uralten Traum der Menschen zur Wirklichkeit. Sie schenken den Menschen die Sterne.“
    Ein geübter Klang warmen Stolzes schlich in seine Stimme, und er deutete auf die silberne Form, die in dem schwarzen Würfel schwebte. „Die Sternenwind war mein Schiff“, sagte er. „Ich war während ihrer letzten Reise ein kleiner Teil ihrer Mannschaft. Die Dias, die Sie jetzt gleich sehen werden, sind während dieser Reise gemacht worden, einer Reise, die zu den ereignisreichsten der Geschichte zählen muß. Wenigstens würde ich dies sagen.“ Er lächelte. „Andererseits jedoch – ich bin voreingenommen.“
    Seine Stimme fuhr fort, benannte Einzelheiten wie Größe, Bauart und Möglichkeiten des Sternenkreuzers sowie Fähigkeiten seiner Mannschaft. Aber er wurde nie zu technisch, und es gab immer wieder menschliche Abstecher und sogar Spuren von Poesie, die die Darbietung würzten. Becker war in seinem Job zu gut, um sein Publikum zu langweilen.
    Aber zur gleichen Zeit, in der seine Zunge die ihr vertrauten Worte abspulte, war sein Geist woanders. Draußen, bei der Sternenwind , im sonnenlosen Abgrund des Antiraums. Draußen, zwischen den Sternen.
    Wo ist sie jetzt? dachte er. Es ist jetzt fast ein Jahr her, daß sie gestartet ist. Auf diese neue Reise. Ohne mich. Gott weiß, was für neue Welten sie gefunden haben, während ich hier feststecke und kleine alte Damen mit raffiniertem Quatsch füttere.
    Und es war die alte Bitterkeit in seinen Gedanken und die alte Sehnsucht in seinem Bauch. Und ihm wurde zum millionsten Mal bewußt, wie sehr er das haßte, was aus seinem Leben geworden war. Aber kein einziger Hinweis darauf kroch in seine glatte und warme und sehr professionelle Rede.
    Er bediente den Holowerfer, und das Dia wechselte. Jetzt war der Würfel blendend weiß, gesprenkelt mit Löchern von pulsierendem Schwarz. Und in der Mitte der Projektion war ein Ding, das wie ein schwebender schwarzer Krake mit leuchtenden, karmesinroten Adern aussah.
    „Das ist der Antiraum“, sagte Becker einfach. „Oder jedenfalls das, was menschliche Augen als Antiraum wahrnehmen. Die Mathematiker versuchen immer noch, seine wahre Natur darzustellen. Aber wenn unsere Sprunggeneratoren laufen, dann sehen wir ihn so. Fast wie ein fotografisches Negativ: weiße Dunkelheit und funkelnde, schwarze Sterne.“
    Er hielt inne, wartete auf die unvermeidliche Frage. Und

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