Die zweite Stufe der Einsamkeit
wiederholte ich, und er nickte.
„Ja“, sagte er. „Früher, als die Straßen noch vollgestopft waren, da konnte man nicht einfach wenden, wenn man eine Ausfahrt verpaßt hatte. Man mußte weiterfahren, manchmal meilenweit, bis man wieder eine Möglichkeit gefunden hat, von der Straße herunterzukommen und dann wieder hinaufzukommen. Manche von den Kleeblattschleifen, die man konstruiert hat, waren so kompliziert, daß man den Weg zu seiner Ausfahrt möglicherweise nie mehr wiederfinden konnte.
Und das ist es, was dem Edsel passierte, denke ich. Sie haben ihre Ausfahrt verpaßt, und jetzt können sie sie nicht mehr finden. Sie müssen weiterfahren. Für immer.“
Er seufzte. Dann drehte er sich um und bestellte noch eine Tasse Kaffee.
Wir tranken schweigend, gingen dann zurück zum Benzindepot. Von dort fuhr ich direkt zur Stadtbücherei. Es war alles da, in den abgelegten alten Zeitungen. Die Einzelheiten des ursprünglichen Unfalls, der erste Vorfall zwei Jahre später und die anderen, in unregelmäßiger Folge. Dieselbe Geschichte, derselbe Unfall, immer wieder. Alles war identisch, bis hin zu den Schreien.
In dieser Nacht war die alte Autobahn dunkel und unbeleuchtet, als ich meine Fahrt fortsetzte. Es gab keine Verkehrszeichen oder weißen Striche, aber es gab eine Menge Risse und Schlaglöcher. Ich fuhr langsam, in Gedanken verloren.
Ein paar Meilen hinter San Breta hielt ich an und stieg aus dem Wagen. Ich saß im Sternenlicht da, bis kurz vor Morgengrauen, schaute und lauschte. Aber die Lichter blieben aus, und ich bekam nichts zu sehen.
Doch gegen Mitternacht wurde ein seltsames pfeifendes Geräusch in der Ferne laut. Es schwoll rasch an, bis es direkt über mir war, und verschwand dann genauso schnell.
Es hätte ein Schwebelaster irgendwo hinter dem Horizont sein können, vermute ich. Ich habe noch nie einen Schwebelaster diese Art von Lärm machen hören, aber trotzdem, es hätte ein Schwebelaster sein können.
Aber das glaube ich nicht.
Ich glaube, es war der Wind, der durch die Schnauze eines rostigen weißen Geisterautos pfiff; eines Geisterautos, das auf einer Spuk-Autobahn fährt, die man auf keiner Straßenkarte findet. Ich glaube, es war der Schrei eines kleinen, verirrten Edsel, der für alle Zeit die Ausfahrt nach San Breta sucht.
Evanston, Illinois
April 1970
Dia-Vortrag
SLIDESHOW
Becker war der zweite Sprecher im Programm. Deshalb wartete er geduldig.
Der Mann, der vor ihm kam, war ein Arzt, der Leiter einer Art Armenklinik in einer der Unterstädte. Groß, hager und ältlich, sprach er mit leiernder Eintönigkeit und schob die Finger immer wieder durch sein spärliches graues Haar. Das Publikum, etwa dreißig dralle Oberetagen-Matronen, versuchte mühsam aufzupassen, aber Becker konnte ihre Unruhe spüren.
Er machte ihnen keinen Vorwurf. Die Darbietung war nicht sehr wirkungsvoll. Der Arzt erzählte medizinische Horror-Geschichten von Unterstadt-Kindern, die zu arm sind, um anständige Krankenhauspflege zu bekommen, von unnötigen Todesfällen, von längst ausgerotteten Krankheiten, die tief dort unten noch immer gediehen. Aber seine Stimme und seine Art zu sprechen nahmen seinen Worten die Schlagkraft. Und seine Dias – zumal, da von der altmodischen, flachen Art – waren erbärmlich schlecht gewählt. Statt bewegender Bilder von kranken Kindern und Unterstadt-Elend gab es ermüdende Bilder von der Klinik und ihrem Personal und dann sogar Blaupausen der vorgeschlagenen Erweiterung.
Becker gab sich Mühe, sein Gähnen zu unterdrücken. Ihm tat der Arzt ein bißchen leid. Aber nur ein kleines bißchen. Am meisten tat er sich noch immer selbst leid.
Endlich schloß der Arzt seine Darbietung mit einer bedächtigen, selbstbewußten Bitte um Gelder. Die Damen spendeten ihm eine Runde höflichen Applaus. Dann drehte sich die Vorsitzende zu Becker um. „Wenn Sie bereit wären, anzufangen, Commander“, sagte sie freundlich.
Becker erhob sich aus seinem Konturensessel und ließ ein Plastiklächeln aufblitzen. „Danke“, sagte er, als er sich zur Stirnseite des plüschig möblierten Wohnraumes begab. Er wartete einen Moment lang, während der Doktor den alten Dia-Projektor vom Rednerpult räumte, schwenkte dann an dessen Stelle seinen tragbaren Holowerfer hoch. „Sie können die Leinwand abnehmen, meine Damen“, sagte er. „Mein Apparat braucht sie nicht. Und machen Sie einen Kreis etwa … hm … dort frei.“ Er zeigte hin.
Die Frauen beeilten sich, dem
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