Die zweite Stufe der Einsamkeit
Valcarenghi legte eine Hand auf meine Schulter und deutete in Richtung Ausgang.
Die kühle Nachtluft traf uns wie Eiswasser, und ich merkte plötzlich, daß ich schweißgebadet war. Valcarenghi ging schnell zum Wagen. Hinter uns nahmen die Reden noch immer ihren Lauf, und die Shkeen ließen keine Anzeichen von Müdigkeit erkennen.
„Die Versammlungen dauern oft Tage, manchmal Wochen“, erklärte uns Laurie, während wir in das Luftauto stiegen. „Die Shkeen hören mehr oder weniger in Schichten zu – sie bemühen sich schrecklich darum, jedes Wort zu hören, aber früher oder später übermannt sie die Erschöpfung, und sie ziehen sich zu kurzen Ruhepausen zurück. Danach kommen sie wieder. Es ist eine große Ehre, eine ganze Versammlung ohne Schlaf durchzustehen.“
Valcarenghi katapultierte uns in die Luft. „Eines Tages werd’ ich’s auch versuchen“, sagte er. „Ich habe nie länger als ein paar Stunden daran teilgenommen, aber ich denke, ich könnte es schaffen, wenn ich mich mit Drogen entsprechend wappne. Es wäre dem Verständnis zwischen Menschen und Shkeen recht dienlich, würden wir intensiver an ihren Ritualen teilnehmen.“
„Oh“, sagte ich. „Vielleicht war Gustaffson auch dieser Meinung.“
Valcarenghi lachte unbekümmert. „Nun ja, derart intensiv will ich nun auch wieder nicht teilnehmen.“
Der Heimflug verlief in einem erschöpften Schweigen. Mir war jedes Zeitgefühl abhanden gekommen, aber mein Körper beharrte darauf, das es fast Morgengrauen war. Lya, in meiner Armbeuge zusammengerollt, sah todmüde und leer und nur mehr halbwach aus. Ich fühlte mich genauso.
Wir verließen das Luftauto vor dem Turm und nahmen den Röhrenlift hinauf. Ich war nicht mehr fähig zu denken. Der Schlaf kam sehr, sehr schnell.
Ich träumte in dieser Nacht. Ein guter Traum, glaube ich, aber er verblaßte mit dem Anbruch des neuen Tages, floh vor dem Licht, ließ mich leer und enttäuscht zurück. Nach dem Erwachen lag ich eine Weile still, den Arm um Lya, die Augen auf die Zimmerdecke gerichtet; ich versuchte mich daran zu erinnern, was ich geträumt hatte. Aber es war sinnlos.
Statt dessen ertappte ich mich, wie ich über die Versammlung nachdachte, ich ließ die Eindrücke in Gedanken vorüberziehen. Schließlich raffte ich mich auf und stieg aus dem Bett. Wir hatten das Glas verdunkelt, so daß der Raum noch immer pechschwarz war. Aber ich fand den Regler dennoch recht schnell und ließ einen Schimmer späten Morgenlichts hereinsickern.
Lya murmelte so etwas wie einen verschlafenen Protest und wälzte sich herum, machte aber keine Anstalten aufzustehen. Ich ließ sie allein im Schlafzimmer bleiben, ging in unsere Bibliothek hinüber und suchte nach einem Buch über die Shkeen – irgend etwas mit ein bißchen mehr Einzelheiten als das Material, das wir geschickt bekommen hatten. Kein Glück. Die Bibliothek war auf Unterhaltung, nicht auf sachliche Ermittlungen ausgerichtet.
Ich entdeckte ein Visiphon und tippte die Nummer von Valcarenghis Büro ein. Gourlay meldete sich. „Hallo“, sagte er. „Dino hat mit Ihrem Anruf gerechnet. Er ist momentan aber nicht hier. Er ist außerhalb, will einen Handelsvertrag durchboxen. Was benötigen Sie?“
„Bücher“, sagte ich; meine Stimme war noch immer ein bißchen schlaftrunken.
„Etwas über die Shkeen.“
„Damit kann ich leider nicht dienen“, sagte Gourlay. „Es gibt keine, wirklich nicht. Eine Menge wissenschaftlicher Untersuchungen und Monographien, aber keine richtigen Bücher. Ich habe vor, eins zu schreiben, aber bisher bin ich noch nicht dazu gekommen. Dino ist der Ansicht, ich könnte Ihre Informationsquelle spielen. So gut ich kann.“
„Oh.“
„Irgendwelche Fragen?“
Ich suchte nach einer Frage, fand keine. „Eigentlich nicht“, sagte ich schulterzuckend. „Ich wollte nur mehr Basis-Hintergrundmaterial haben, vielleicht noch ein paar zusätzliche Informationen über die Versammlungen.“
„Darüber kann ich Ihnen später jederzeit berichten“, sagte Gourlay. „Dino hat angenommen, daß Sie heute mit Ihrer Arbeit anfangen wollen. Wir können Ihnen die Leute in den Turm bringen, wenn Sie das wünschen, Sie können sie aber auch selbst aufsuchen.“
„Wir werden hinausgehen“, sagte ich schnell. Läßt man sich die Leute eines Interviews wegen herbeischaffen, dann verdirbt das alles. Sie sind beunruhigt, und das überdeckt jede Emotion, die ich lesen will, und sie denken auch an andere Dinge, so daß auch Lyanna
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