Die zweite Stufe der Einsamkeit
ich gingen schweigend durch dieses Tohuwabohu, Hand in Hand, und wir beobachteten und lauschten und rochen und – lasen.
Als ich die Shkeen-Stadt betrat, hatte ich mich allem weit geöffnet, ließ im Weitergehen alles über mich hinwegspülen, nahm alles wahllos auf. Ich war das Zentrum eines kleinen Wirbels aus Emotionen – Gefühle prasselten auf mich ein, wenn sich Shkeen näherten, verblaßten, wenn sie davongingen, umkreisten mich wieder und immer wieder mit den tanzenden Kindern. Ich schwamm in einem Meer von Eindrücken. Und es verblüffte mich.
Es verblüffte mich, weil alles so vertraut war. Ich hatte schon oft fremde Wesen gelesen. Manchmal war es schwierig, manchmal war es leicht, aber es war niemals angenehm. Die Hranganer haben einen bitteren Geist, von Haß und Ablehnung überwuchert, und ich fühle mich jedesmal unsauber, wenn ich aus ihnen herauskomme. Die Fyndii haben derart blasse Empfindungen, daß ich sie fast gar nicht lesen kann. Die Damoosh sind … anders. Ich empfange sie stark, aber ich finde keine Namen für die Gefühle, die ich lese.
Aber die Shkeen – es war, als würde ich eine Straße auf Baldur entlanggehen. Nein, halt – eher in einer der Vergessenen Kolonien, wo die menschlichen Siedler wieder in die Barbarei zurückgefallen sind und ihre Herkunft vergessen haben. Menschliche Emotionen sind dort wie ein Sturm, primitiv und stark und natürlich, nicht so kultiviert wie auf Alt-Erde oder Baldur. Die Shkeen waren genauso: primitiv vielleicht, aber sehr gut zu verstehen. Ich las Freude und Trauer, Neid, Ärger, Tagträumereien, Bitterkeit, Sehnsucht, Schmerz. Das gleiche berauschende Durcheinander, das mich überall wie eine Flutwelle erfaßt, wenn ich mich ihm öffne.
Lya las ebenfalls. Ich spürte, wie sich ihre Hand in der meinen verkrampfte. Nach einer Weile entspannte sie sich wieder. Ich wandte mich ihr zu, und sie sah die Frage in meinen Augen.
„Sie sind Menschen“, sagte sie. „Sie sind wie wir.“
Ich nickte. „Parallel-Evolution; vielleicht. Shekea könnte eine ältere Erde sein, mit einigen kleineren Unterschieden. Aber du hast recht. Sie sind menschlicher als jede andere Rasse, die wir im All getroffen haben.“ Ich dachte darüber nach. „Beantwortet das Dinos Frage? Wenn sie wie wir sind, ist es nur logisch, daß ihre Religion auf uns anziehender wirkt als eine wirklich fremdartige.“
„Nein, Robb“, sagte Lya. „Das glaube ich nicht. Ganz im Gegenteil. Wenn sie wie wir sind, ist es unverständlich, daß sie so willig hingehen und sich auffressen lassen. Verstehst du?“
Sie hatte natürlich recht. In den Emotionen, die ich gelesen hatte, waren keine Selbstmordtendenzen zu erkennen gewesen, nichts Labiles, nichts wirklich Anomales. Und dennoch ging jeder Shkeen mit Freuden der Letzten Vereinigung entgegen.
„Wir sollten uns auf einen einzigen Shkeen konzentrieren“, sagte ich. „Dieses Potpourri bringt uns nirgends hin.“ Ich schaute mich um, versuchte ein geeignetes ‚Objekt’ zu finden, aber in diesem Augenblick begannen die Glocken zu läuten.
Sie erklangen irgendwo links von uns, nahezu verloren im friedlichen Spektakel der Stadt. Ich zog Lya an der Hand mit, und wir rannten die Straße hinunter, um sie zu finden. Beim ersten Spalt in der ordentlichen Reihe der Kuppelhäuser wandten wir uns nach links.
Die Glocken waren noch immer vor uns, und wir rannten weiter, kürzten durch eine Art Hof ab und kletterten über einen niedrigen Heckenzaun, der vor Süßhörnchen strotzte. Dahinter lagen ein anderer Hof, weitere Kuppelhäuser und schließlich die Straße. Dort entdeckten wir die Glockenträger.
Es waren vier, alle gebunden; sie trugen lange Roben aus leuchtendrotem Stoff, die im Staub schleiften, in jeder Hand hielten sie eine große Bronzeglocke. Ununterbrochen läuteten sie die Glocken, ihre langen Arme schwangen vor und zurück, und die harten, metallischen Klänge erfüllten die Straße. Alle vier waren nach Shkeen-Begriffen schon etwas älter – haarlos und von einer Million winziger Fältchen gerunzelt. Aber sie lächelten sehr herzlich, und die jüngeren Shkeen, die ihnen begegneten, erwiderten dieses Lächeln.
Auf ihren Köpfen saßen die Greenshka.
Ich hatte erwartet, den Anblick widerlich zu finden. Aber ich fand ihn nicht widerlich. Es wirkte irgendwie beunruhigend, aber nur deshalb, weil ich wußte, was es bedeutete. Die Parasiten waren strahlendhelle Klumpen aus blutroter Gallerte von der Größe einer pulsierenden Warze
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